Werbung

Maischberger frei von jeder Metaebene

Warum der ARD-Themenabend zum Houellebecq-Roman »Unterwerfung« an den eigentlichen Fragen des Werkes völlig vorbeiging

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit Metaebenen ist das immer so eine Sache: Wer diese bei der Rezeption eines Werkes ignoriert, kann bisweilen einer Fehlinterpretation erliegen. Manchmal hilft es auch, die Entstehungsgeschichte zu kennen. Im Fall von Michel Houellebecqs Roman »Unterwerfung« kann das nur nützlich ein. Die Empörung über die Rahmenhandlung - ein Frankreich, das von einem Muslim regiert wird, der das Land im vermeintlichen Sinne des Islam umbaut - ist überdreht. Im Prinzip sind die neuen Machthaber austauschbar. Houellebecq erklärte wiederholt, in seiner ursprünglichen Idee sollte es um die Bekehrung des Hauptprotagonisten zum Katholizismus gehen.

Deshalb ist der Roman eben auch nicht als ernsthafte Warnung vor einer angeblichen Islamisierung zu lesen. »Houellebecqs schwarze Zukunftsvision vom Wahlsieg einer muslimischen Bruderschaft, die von den zur Bedeutungslosigkeit geschrumpften bürgerlichen Parteien unterstützt wird«, sei »bei näherer Betrachtung völlig gaga«, schreibt Christian Bos in einer Rezension auf ksta.de (»Kölner Stadtanzeiger«) anlässlich der TV-Verfilmung, die am Mittwochabend in der ARD lief. In Wirklichkeit gehe es um den »Sturz des weißen Mannes von seinem angestammten Thron«. Protagonist François wettert gegen emanzipierte Frauen, sucht sich immer neue Affären, den politischen Umwälzungen begegnet er »mit Ratlosigkeit, die viel beschworenen Werte der Aufklärung sind ihm herzlich egal«. Zum eigenen Vorteil passt er sich letztlich den neuen Verhältnissen an.

Über all dies ließe sich streiten. Doch da die TV-Adaption eben in der ARD und nicht auf 3sat lief, wo im Anschluss bei Gert Scobel ein Psychoanalytiker und ein Philosoph über den Hang des Menschen zum Opportunismus oder seine Unterwürfigkeit hätten diskutieren können, musste eben der Polittalk von Sandra Maischberger ran. Ihre Redaktion benahm sich wie eine Schulklasse, die das Thema eines Aufsatzes nicht versteht. Um den Film in das Korsett eines Themenabends zu pressen, hieß der Titel der Talksendung frei von houellebecqscher Ironie und Metaebene: »Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?« Bei solch einer Frage musste die AfD nicht einmal Gast sein, um in Jubel zu verfallen. Ursprünglich hatte es die Redaktion sogar noch schärfer formuliert und gefragt: »Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?«, war nach Kritik aus den sozialen Netzwerken aber einen Millimeter zurückgewichen. Die Sendung selbst konnte man sich übrigens schenken.

Angebracht ist dagegen die Debatte darüber, ob in deutschen Polittalks nicht unverhältnismäßig oft der Islam thematisiert wird, wie Dunja Ramadan auf sueddeutsche.de findet. »Solchen Alarmismus sollte man sich für die wirklich dringenden Themen aufheben.« Das Problem: Titel wie »Kopftuch und Koran - hat Deutschland kapituliert?« (Maischberger, 2010) geisterten schon zu Zeiten durch die Medienlandschaft, als von der AfD noch nichts zu sehen war. Insofern seien solche Polittalks ebenso Wegbereiter des Rechtsrucks gewesen, kritisiert Ramadan.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Aus dem Netz gefischt
- Anzeige -
- Anzeige -