Zwei Galgenfristen
Potsdams Stadtparlament schiebt Abriss von Restaurant »Minsk« und Rechenzentrum auf
Möglicherweise hat sich Potsdams Oberbürgermeister Jan Jakobs (SPD) seine letzten Amtshandlungen anders vorgestellt. Am Mittwochabend konnte er sich gemeinsam mit SPD- und CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung nicht mit dem Ziel durchsetzen, das DDR-Terrassenrestaurant »Minsk« im Zuge von Grundstücksverkäufen an einen privaten Investor einfach abreißen zu lassen. LINKE, Grüne, Die Andere und Bürgerbündnis/FDP setzten in der letzten Stadtparlamentssitzung vor der Sommerpause mit einer Stimme Mehrheit durch, dass die Stadtverwaltung Alternativen zum Abriss ernsthaft prüfen muss.
»Uns ist gelungen, was die anderen nicht wollten«, schätzte im Nachhinein am Donnerstag Linksfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg ein. Nun müsse eine »solide Entscheidungsgrundlage« vorgelegt werden. Entfallen sei der von der Stadtspitze angestrebte Automatismus, demzufolge das Gelände an einen im Übrigen unbekannten Investor verkauft werde, was den Abriss des »Minsk« als eines der wenigen verbliebenen Bespiele der DDR-Moderne bedeutet hätte. In seiner Rede vor den Stadtverordnete hatte Scharfenberg am Mittwochabend mit Blick auf den Abriss von Fachhochschule, Staudenhof und Haus des Reisens vor einer mutwilligen Entscheidung gewarnt, »bei der es wieder nur Sieger und Verlierer gibt«. Scharfenbergs Fraktionskollegin Karin Schröter hatte hinzugefügt: »Bevor man schneidet, soll man messen.«
Betont ärgerlich war Oberbürgermeister Jakobs ans Mikrofon getreten, so als habe er schon geahnt, dass er diese Abstimmung verlieren werde. »Wenn es nicht so ernst wäre, würde ich von einer Lachnummer sprechen«, sagte er wütend. Und das »Gewürge« müsse doch nun endlich einmal ein Ende haben. Die CDU assistierte: das »Minsk« sei eben »in der Konkursmasse drin«. Es habe sich herausgestellt, dass es für dieses Gebäude keine Nachnutzung gebe. Die CDU warb dafür, »nicht auf Millionen zu verzichten zum Nachteil der Stadt«. In der SPD ist die Front nicht geschlossen. Der ehemalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) hat sich für das Erhalt des »Minsk« ausgesprochen, und der langjährige Vorsitzende des Potsdamer Bauausschusses Christian Seidel (SPD), der auf Antrag der Linksfraktion bei der Debatte ein Rederecht erhielt, setzte sich am Mittwochabend ebenfalls entschieden für die Bewahrung des eigenwilligen Gebäudes am Brauhausberg ein. Für die Grünen erklärte Peter Schüler, der Oberbürgermeister habe offenbar nicht verstanden, »dass das ›Minsk‹ ein wichtiges Anliegen der Stadtgesellschaft ist«.
Vor einiger Zeit hatte der Landessportbund angeboten, aus dem »Minsk« eine Kita zu machen. Daraufhin habe die Stadtspitze gebetsmühlenartig den Bedarf dafür verneint, sagte die Stadtverordnete Karin Schröter. »Das aber ist nicht wahr.« In der Debatte wies Oberbürgermeister Jakobs den Kita-Plan mit der Begründung zurück, dies würde »die teuerste Kita des Landes Brandenburg« werden. »Dafür kannst du drei neue bauen.«
Falko Hermann von der Initiative zur Rettung des »Minsk« betonte, das Haus sei ein Unikat, das der Stadt Potsdam gut zu Gesicht stehe. Er begreife nicht, weshalb eine solche bauliche Besonderheit zerstört werden solle, während die Typenbauten der Serie WBS-70 stehen bleiben. »Das ist nicht fair.« Angesichts des Hauptarguments der Abrissbefürworter, man würde für das Gelände viele Millionen Euro erhalten, wünschte sich Hermann eine Diskussion »weg von der allein finanziellen Betrachtung«.
Von den Stadtverordneten mehrheitlich beschlossen wurde hingegen der Abriss des derzeit von Hunderten meist jungen Künstlern genutzten alten Rechenzentrums. Es steht dem umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche im Wege. Laut Linksfraktionschef Scharfenberg wird das immerhin damit bemäntelt, dass es noch bis 2023 als Kultur- und Kreativzentrum weiter genutzt werden könne. Dennoch eine »fatale Entscheidung«, kommentierte der Kommunalpolitiker. Die Stadt begebe sich damit einer Möglichkeit, mittels eines angebotenen Teilerhalts und Umbaus den tiefen Interessengegensatz zwischen Gegnern und Befürwortern an diesem Standort zu entschärfen. Denn es wäre schließlich möglich, das Rechenzentrum als Kreativhaus zu bewahren, wenn die Garnisonkirche nicht hundertprozentig nach dem historischen Vorbild nachgebaut wird.
»Wenn ich im September gewählt werden sollte, werde ich mich für den Erhalt des Rechenzentrums als Kunst- und Kreativzentrums einsetzen«, verspricht die parteilose Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth, die bei der Oberbürgermeisterwahl am 23. September für die LINKE antritt. Trauth nennt das Gebäude aus DDR-Tagen und seine gegenwärtige Nutzung als offenes Künstlerhaus eine »Bereicherung für unsere Stadt«, spricht von einem Ort, der geballt Kreativität, Toleranz und Demokratie ausstrahle.
Schriftsteller Wolfram Adolphi ist einer von 250 Mietern im Rechenzentrum, die hier einen Ort für ihr Schaffen gefunden haben. Enttäuschend sei diese Entscheidung des Stadtparlaments angesichts eines dreitägigen Workshops, der völlig andere Möglichkeiten gedanklich eröffnet hatte, sagt Adolphi. Das Rechenzentrum sei heute ein Haus des multikulturellen Lebens und demokratischer Haltungen. »Das hier brauchen wir, und nicht die Garnisonkirche.« Adolphi verweist auf den offenen Brief der AfD-Fraktion an die Stiftung Garnisonkirche und die darin geäußerte Ermutigung, gegenüber Kritikern festzubleiben. Das unterstreiche einmal mehr, was an dieser Baustelle tatsächlich geschehe - die Wiedererrichtung einer in militärisch-aggressiver Tradition stehenden Kirche, mögen jene, welche die künftige Entwicklung gar nicht in der Hand haben können, von Versöhnungszentrum reden wie sie wollen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.