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Hölle nach bayerischem Vorbild
Jugendliche Flüchtlinge protestieren gegen Konferenz der Innenminister
Rola Saleh hat zum Pressetermin in ein Café geladen, das sich in Quedlinburg in einer Gasse namens »Hölle« befindet - ausgerechnet. Saleh ist die Sprecherin der Initiative »Jugendliche ohne Grenzen« (JOG), in der sich junge Flüchtlinge organisieren. Wenn sich, wie jetzt in der Stadt am Harz, die Innenminister von Bund und Ländern zu ihrer jährlichen Konferenz treffen, veranstaltet JOG eine alternative Tagung, zeichnet den »Abschiebeminister des Jahres« aus und kommentiert die aktuelle Asylpolitik. Derzeit lässt sich die Einschätzung auf eine kurze Formel bringen: Hölle - und zwar nach bayerischem Vorbild.
Aus Bayern stammt vor allem die Idee der Ankerzentren, in denen Asylbewerber für die gesamte Dauer ihres Verfahrens festgehalten und aus denen sie im Fall einer Ablehnung auch abgeschoben werden sollen. Die Mehrzahl der Länderminister steht dem Vorschlag von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zwar noch skeptisch gegenüber - vorwiegend aber, weil Details unklar sind. Saleh hält die Idee grundsätzlich für abwegig. »Die Menschen kommen aus Lagern in der Türkei oder Griechenland und werden wieder kaserniert«, sagt sie: »Psychische und physische Schäden sind die zwangsläufige Folge.«
Auch Stefanie Mürbe vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt warnt vor einer »Isolationspolitik«, die freilich nicht nur in als solche bezeichneten »Ankerzentren« stattfindet. Ihr Bundesland betreibt in Halberstadt eine Erstaufnahmeeinrichtung, in der 800 Menschen leben - künftig womöglich für bis zu 24 Monate. Das will Holger Stahlknecht (CDU), Innenminister des Landes, mit einer Änderung des Landesaufnahmegesetzes erreichen. Bisher liegt die Obergrenze bei sechs Monaten. Komme der Plan durch, würden »elementare Menschenrechte verletzt«, sagt Mürbe und kritisiert einen Kurs, den sie als »Desintegrationspolitik« bezeichnet.
Das freilich ist kein unbeabsichtigter Nebeneffekt, sondern Kern der derzeitigen Politik, fürchten die Flüchtlingsinitiativen. »Die Idee ist: Man muss nur ausreichend Härte zeigen, dann gehen die Leute von ganz allein«, sagt Tobias Klaus vom Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF). Das habe aber, fügt er hinzu, »schon in den 1990er Jahren nicht funktioniert«, an die sich viele Kritiker der gegenwärtigen Asylpolitik erinnert fühlen. Viele der Maßnahmen, die in Deutschland derzeit diskutiert würden, seien dazu angetan, bei Flüchtlingen Verunsicherung und Angst zu erzeugen. Angst aber, sagt Klaus, »ist Gift für Integration«.
Eine Gruppe, die seit dieser Woche verstärkt in Sorge lebt, sind Flüchtlinge aus Afghanistan wie die 20-jährige Zuhra Hassanzada. Sie wendet sich bei einer Protestkundgebung von JOB auf dem Markt von Quedlinburg auch gegen die Ankündigung, verstärkt in ihr Heimatland abzuschieben. Ein Unding, sagt die junge Frau, die aus Masar-e Sharif geflohen ist und betont, es gebe weiterhin viele Anschläge selbst in der afghanischen Hauptstadt Kabul: »Keiner, der hier über Abschiebungen redet, würde dort auch nur einen Tag leben wollen.« Hassanzada lebt mit ihren teils minderjährigen Geschwistern in Rheinland-Pfalz; die Eltern sind in der Türkei steckengeblieben. Der Asylantrag der jungen Frau wurde abgelehnt; derzeit wird er juristisch überprüft.
Nicht unwahrscheinlich ist, dass die Ablehnung dort gekippt wird: 2017 seien 40 Prozent der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ergangenen Bescheide von Gerichten als falsch eingestuft worden, sagt Mürbe. Wenn die Innenminister in Quedlinburg über die »BAMF-Affäre« sprechen, müsse daher klar sein, dass »der eigentliche Skandal die politisch motivierte Absenkung der Zahl positiver Entscheidungen« sei; Leidtragende seien die Asylbewerber selbst. Dass jetzt auf Vorschlag von Seehofers Ministerium gar erwogen werde, Schnellverfahren binnen 48 Stunden durchzuziehen, sei »indiskutabel«, sagt Mürbe. Anders gesagt: die »Hölle«.
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