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Tiefe Gräben in Nordirak

Der Fall Susanna F. wird auch in der Autonomen Region Kurdistan instrumentalisiert

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Necirwan Barzani, Regierungschef der Autonomen Region Kurdistan (ARK), wirkte sichtlich zufrieden, als er am Freitag Nachmittag kurzfristig in Begleitung seines Innenministers Abdul Karim Sultan Sindschari vor die überwiegend einheimischen Medien trat, um die Festnahme eines von der deutschen Polizei gesuchten Tatverdächtigen bekannt zu geben. Dass ein 20-Jähriger, der in Deutschland unter dem Verdacht steht, ein Mädchen vergewaltigt und ermordet zu haben, danach nach Erbil, die Hauptstadt der ARK, flüchten konnte, hat viele dort wütend gemacht; die Regierung müsse jetzt alles stehen und liegen lassen, den jungen Mann finden und festnehmen, forderten die Kommentatoren der Medien und die Nutzer in sozialen Netzwerken gleichermaßen - während aus Bagdad eine Sonderkommission der irakischen Kriminalpolizei anreiste, und aus einem Mordfall in Europa ein Politikum in Nahost wurde.

Denn vor gut einem Dreiviertel Jahr hatte der damalige Präsident Masud Barzani in der Region ein Referendum über die Unabhängigkeit der ARK durchführen lassen. Das wurde zwar mit großer Mehrheit angenommen, führte aber nur dazu, dass die Zentralregierung Truppen nach Kirkuk schickte und die Schließung der Flughäfen in der Region anordnete. Die Vielvölkerstadt mit Ölvorkommen im Umland wird von den Kurden beansprucht, »Ihr Kurden dürft nie vergessen, dass ihr zu Irak gehören und eure Autonomie auch von uns abhängt«, betonte der irakische Regierungschef Haider al Abadi Ende September 2017.

Und so nutzten Barzani und Sindschari nun den Mordfall an der Schülerin Susanna in Deutschland, um der Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass man weiter die Kontrolle hat - samt einer gehörigen Portion Desinformation: Die irakischen Beamten, die die Einreisekontrollen am Flughafen durchführen, arbeiteten schlecht, behauptete die Regierung. Man habe eine international gesuchte Person problemlos einreisen lassen. Dass zum Zeitpunkt der Einreise noch gar keine Hinweise auf den Verdächtigen vorlagen, ließ man unter den Tisch fallen.

Stattdessen überging die kurdische Polizei öffentlichkeitswirksam die Sonderermittler aus Bagdad und trieb den Verdächtigen in Windeseile auf, bevor dann Barzani und Sindschari am Freitag die »Effizienz unserer Sicherheitsbehörden« lobten.

Doch die Realität sieht weniger rosig aus: Die Peschmerga - Milizen, die in der ARK militärische und polizeiliche Aufgaben wahrnehmen und traditionell mit den einzelnen politischen Parteien in Verbindung stehen - sind ebenso zerstritten wie die beiden großen Parteien Demokratische Partei Kurdistans (DKP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK), die bislang traditionell die wichtigsten politischen Posten unter sich aufteilten. Und in einer unwegsamen Bergregion hat die aus dem türkischen Teil Kurdistans stammende PKK nach Angaben der Regierung in Ankara ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Mehrmals bombardierte das türkische Militär PKK-Stellungen und fordert nun, die Peschmerga müssten sich an einer Bodenoffensive beteiligen.

Doch die Peschmerga sind kaum noch unter einen Hut zu bringen; bevor man sich beteilige, müsse über die künftige Aufteilung der Macht gesprochen werden, forderte Vizepräsident Kosrat Rasul Ali in der vergangenen Woche. Derweil droht die Türkei, die bislang recht gute Beziehungen zur ARK pflegt, auch wenn sie eine Unabhängigkeit ablehnt, mit Sanktionen. Seit dem Referendum konkurrieren die Parteien stärker denn je um Einfluss. Im Oktober 2017 war Präsident Masud Barzani, Onkel von Regierungschef Barzani und Vorsitzender der Demokratischen Partei Kurdistans, nach zwölf Jahren im Amt zurückgetreten und hatte sein Büro auch tatsächlich geräumt. Mit ihm ging jedoch nicht nur der Anführer eines Familienclans, der Wirtschaft und Politik in der ARK seit Jahren dominiert, sondern auch eine Führungspersönlichkeit, die die Rivalitäten in der Politik und den Peschmerga durch Einfluss und mahnende Worte im Rahmen hielt.

Während der Islamische Staat große Teile Iraks, darunter auch die Großstadt Mossul direkt an der Grenze zur ARK unter Kontrolle hatte, schienen die Peschmerga nach außen hin unter dem Oberkommando von Präsident und Verteidigungsministerium vereinigt. Doch nachdem der IS weitestgehend vertrieben war und die Kämpfer nach Hause zurückkehrten, traten die Differenzen deutlich zu Tage. Nachdem das irakische Militär und Milizen der mit ihm verbündeten Volksmobilisierungskomitees Kirkuk eingenommen hatten, wurde den Peschmerga, die mit der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) in Verbindung stehen, vorgeworfen, Vereinbarungen mit der irakischen Regierung getroffen zu haben, Bestätigt wurde das allerdings nie.

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