»Genuss erleben« mit Beigeschmack
Bremen will seine Gästezahl stark erhöhen - von jetzt rund zwei Millionen auf drei Millionen pro Jahr
Es wirkt wie die Flucht vor der Realität, wenn die problembeladene rot-grüne Regierung in Bremen nun Pläne schmiedet wie »Zukunft Bremen 2035« oder »Tourismusstrategie 2025«. Nachdem die Bremer Touristik-Zentrale (BTZ) für das erste Quartal des Jahres einen eher mäßigen Zustrom von Gästen konstatiert hatte, legte der Senat jedenfalls einen ehrgeizigen 70-Seiten-Plan für die Tourismus-Entwicklung vor. In den kommenden Jahren will die Regierung die Gästezahl von jetzt rund zwei auf dann drei Millionen steigern. Zudem sollen Bremen und Bremerhaven getrennt vermarktet werden.
Außerdem werden die Freunde der Spaßgesellschaft ins Visier genommen. Mit »schwimmenden Beachclubs« oder einem »Airbus Airlebnis Center« sollen die neu definierten Hauptzielgruppen - »erlebnisorientierte junge Erwachsene« und »kulturorientierte Erwachsene« - angelockt werden.
Während die Entwicklung der Gästezahlen in Bremerhaven im ersten Quartal 2018 noch ein Plus ergab, war das Bild in Bremen selbst zuletzt gemischt. Es kamen zwar mehr deutsche Touristen als im Vorjahreszeitraum, aber der Rückgang bei den ausländischen Gästen war deutlich höher als jener Zuwachs. Und zwar besonders bei den drei wichtigsten Herkunftsländern, den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien.
Auf Nachfrage des »nd« erklärte die Kommunikationsleiterin der BTZ, Maike Bialek, es gebe für diese Entwicklung nicht den einen Grund, aber fundierte Vermutungen. Für britische Gäste zum Beispiel werde als Folge der Brexit-Verhandlungen ein Deutschlandbesuch stetig teurer. Die üblicherweise hohe Zahl an Gästen aus Frankreich beruhe hauptsächlich auf Geschäftsreisenden wegen der in Bremen stark vertretenen Luft- und Raumfahrtbranche. Im ersten Quartal habe es aber keine besonderen Kongresse in jenem Bereich gegeben. Auch die rückläufigen Zahlen der deutsch-französischen Flugverbindungen sprechen laut Bialek für die These, dass aus Frankreich vornehmlich Geschäftsreisende kommen. Aus den Niederlanden dagegen kämen zum Großteil Städtereisende. Für solche Reisen aber sei das erste Quartal nicht gerade Hauptsaison.
Kritik an dem Tourismus-Strategiepapier des Senats hat zum Beispiel die Idee ausgelöst, nicht nur zentral gelegene Sehenswürdigkeiten, sondern auch das Leben und die kleineren Aktivitäten in den Stadtteilen jenseits der City ausgiebig zu vermarkten. Bereits jetzt ächzt man in einer ganzen Reihe von Stadtquartieren unter dem massiven Zulauf von neugierigen Gästen oder Party-Fans. Letztere kommen vermehrt, weil private Vermieter über das Internet Zimmer oder komplette Häuser anbieten. Es gibt Straßen, in denen es für die letzten verbliebenen Einheimischen kein angenehmes Leben mehr gibt - entweder weil sie sich wie Zootiere beobachtet fühlen oder weil sie von durchgehendem Party-Getöse belästigt werden.
Die oppositionelle CDU kritisiert auch die geplanten hohen Kosten der Tourismusstrategie von zwölf Millionen Euro. Außerdem hält sie die getrennte Vermarktung der Schwesterstädte für kontraproduktiv und das vorgesehene Leitthema »Genuss erleben« für falsch. Auf die traditionellen Bremer Industrien wie Schokolade- und Kaffeeherstellung bei der Entwicklung von Erlebnis-Tourismus zu bauen, sei widersinnig, da diese alle Bremen verlassen haben oder es demnächst tun werden. Auch die Brauereien haben sich zurückgezogen oder planen es. Und das Bremer Kellog-Werk, das älteste Europas, ist bereits abgewickelt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.