Schafft eine »harte« Währung eine gesunde Wirtschaft?
Ökonomen sind bis heute uneins in ihrer Beurteilung der stabilen D-Mark und der rigiden Bundesbankpolitik
»Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle an die Bundesbank«, wusste der frühere Präsident der EU- Kommission, Jacques Delors. Der Glaube basierte auf der »harten« Deutschen Mark. Dafür sorgte die Bundesbank, hauptsächlich durch vergleichsweise hohe Leitzinsen. Unabhängig von den wechselnden Regierungen verfolgte sie auf diese Weise ihr Ziel der Preisstabilität.
Doch hat die Mark ihren Nimbus zurecht? Für Friedrich Thießen, Ökonom an der TU Chemnitz, ist sie mit zwei Dingen verbunden: »dem wirtschaftlichen Wiedererwachen nach dem Krieg und dem rasanten Wohlstandswachstum in diesen Jahren«. Und in den 1970ern, als viele Länder Inflationspolitik betrieben, waren die Bundesbanker weniger anfällig für derlei Versuchungen. So wurde die D-Mark »zur Aufwertungswährung und erwarb ihren Stabilitätsnimbus«, so Thießen gegenüber »nd«.
Mehr als 16 Jahre nach der Einführung des Euro-Bargeldes horten die Menschen im In- und Ausland immer noch Mark und Pfennig im Milliardenwert. Nach Angaben der Bundesbank waren bis Ende Mai Scheine im Wert von 5,91 Milliarden Mark (3,02 Milliarden Euro) und Münzen im Wert von 6,69 Milliarden Mark (3,42 Milliarden Euro) im Umlauf. Zum Vergleich: Vor der Euro-Bargeldeinführung 2002 waren es zusammen 162,2 Milliarden D-Mark.
Ein Teil der noch nicht zurückgegebenen Münzen und Scheine dürfte der Bundesbank zufolge verloren gegangen, vernichtet oder in Sammler-Schatullen gelandet sein. Größere Mengen werden im Ausland vermutet. In einigen Ländern war die D-Mark als stabiles und sicheres Wertaufbewahrungsmittel beliebt.
Immer wieder werden alte Schätze durch Zufall entdeckt - in Schubladen, auf Dachböden oder im Garten. Selbst D-Mark-Blüten tauchen ab und an in den Bundesbank-Filialen auf, wo echte Scheine und Münzen nach wie vor unbegrenzt in Euro umgetauscht werden können. dpa/nd
Für Monetaristen wie den US-Ökonomen Milton Friedman oder Wirtschaftsliberale wie Ludwig Erhard ist eine »harte« Währung das monetäre Erfolgsgeheimnis. In der Bundesrepublik sollten die Preise lediglich moderat ansteigen und der Wert gegenüber anderen Währungen hoch bleiben. Letzteres gelang im Großen und Ganzen. Auch dann noch, als der Versuch, die globale kapitalistische Nachkriegsordnung durch feste Wechselkurse zu stabilisieren, mit dem Ende des Bretton-Wood-Systems 1973 zusammenbrach. Allerdings kam es, nicht zuletzt nach dem Scheitern des sogenannten Werner-Plans einer gemeinsamen EU-Währung, wiederholt zu dramatisch verlaufenden Aufwertungen der D-Mark gegenüber Lira, Franc und Dollar.
Es gibt viele, meist konservative Ökonomen in Deutschland, die der harten Mark bis heute eine positive Wirkung zuschreiben. Die seit den 1980er Jahren extrem exportorientierte deutsche Industrie war so gezwungen, auf technische Neuerungen und hohe Qualität zu setzen, um trotz monetärer Verteuerung konkurrenzfähig zu bleiben.
Ganz so stabil, wie sie im Rückblick erscheint, war die D-Mark keineswegs. Gemessen am Preisindex der Lebenshaltung war die Kaufkraft in 46 von 50 Jahren gesunken. »Die besondere Reputation der D-Mark beruht darauf, dass der Kaufkraftverfall anderer Währungen weit größer war«, räumt selbst die Bundesbank ein.
»Die D-Mark selbst ist mehr Mythos als eine ökonomische Erfolgsgeschichte«, mahnt der linke Bremer Ökonom Rudolf Hickel. Zwar habe sie die wichtige Ressource »Vertrauen« nach zwei Hyperinflationen in Deutschland gesichert. »Aber ihr Wert hängt letztlich von der Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung ab.« Nach einer Phase langanhaltender Prosperität gehörten zur D-Mark-Geschichte auch Wirtschaftskrisen und vor allem die Massenarbeitslosigkeit.
Hickel kritisiert die allein auf Inflationsverhinderung ausgerichtete Geldpolitik. Durch den »Stabilitätswahn« seien wirtschaftliche Krisen noch verstärkt worden. Hohe Zinsen verteuern Kredite und können den Aufschwung abwürgen. Die sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt hätten sich mehr Inflation gewünscht, um mehr Beschäftigung zu sichern.
Auch statistisch lässt sich der Zusammenhang zwischen Inflationsvermeidung und Wirtschaftswachstum nicht belegen. Schließlich gab es nach dem Krieg auch in Industrieländern mit deutlich weicherer Währung ein »Wirtschaftswunder«. So wuchs in Frankreich die Wirtschaftsleistung ununterbrochen von 1950 bis 1974 - und das mit dauerhafter Wirtschaftslenkung durch den Staat und nicht wie in Deutschland durch eine unabhängige Zentralbank. Letztlich hat die Geldpolitik weniger Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung als etwa Infrastruktur, Technik, Bildung und soziokulturelle Errungenschaften wie die Mitbestimmung.
»Mit der D-Mark geht mehr als eine Währung verloren«, befürchteten einst die Anti-Euro-Kläger um Wilhelm Hankel - viele Ökonomen und ein großer Teil der Bundesbürger sahen dies genauso. Tatsächlich hat sich aber auch der Euro nicht zum befürchteten »Teuro« mit hoher Inflation entwickelt. Stattdessen sichert er einen Währungsraum ohne DM-Dominanz und Wechselkursrisiken.
Dennoch hält sich in Deutschland bis heute der Glaube an die Bedeutung einer harten Währung. Und ist die Europäische Zentralbank geldpolitisch nach wie vor zweigeteilt zwischen denen, die mittels hoher Zinsen die Währung nach Außen hin stark halten wollen, und denen, die Konjunktur und Beschäftigung nicht aus den Augen verlieren wollen.
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