- Politik
- Vor EU-Gipfel zur Migrationspolitik
Italien geht auf Konfrontationskurs zu Merkel
Innenminister Matteo Salvini lehnt bilaterale Rücknahme-Vereinbarungen zu Geflüchteten ab / Informelles Treffen zur Asylpolitik am Sonntag
Berlin. Bilaterale Abkommen zur Rücknahme von Geflüchteten sollten Angela Merkels Ausweg sein. Doch der Plan der Bundeskanzlerin, mit einem solchen Konstrukt den innenpolitischen Streit mit der CSU beizulegen, droht am Veto betroffener EU-Länder zu scheitern. Zwar haben mehrere EU-Staaten zugesagt, am Sonntag an einem informellen Treffen zum Umgang mit Geflüchteten teilzunehmen. Doch Länder wie Italien und Österreich lehnen die Rücknahme von Asylsuchenden bisher ab.
»Die italienische Regierung ist ausschließlich bereit, den Italienern zu helfen«, hieß es am Mittwoch von Italiens Innenminister Matteo Salvini. Er lehnt es ab, nach Deutschland weitergereiste Asylsuchende zurücknehmen. Sollte Italiens Regierungschef Giuseppe Conte am Sonntag nach Brüssel fahren, um einen Entwurf zu unterschreiben, der von Deutschland und Frankreich vorbereitet wurde, »tut der Premier gut daran, die Reisekosten zu sparen«, twitterte Salvini in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag.
Diese Weigerung erhöht den Druck auf Merkel. Die mit ihr zerstrittene CSU von Innenminister Horst Seehofer hatte der CDU-Vorsitzenden zwei Wochen eingeräumt, um spätestens auf dem EU-Gipfel am 28. und 29. Juni solche bilateralen Rücknahme-Vereinbarungen zu treffen. Sollte Merkel dies bis dahin nicht gelingen, will Seehofer im nationalen Alleingang bereits in anderen EU-Ländern registrierte Geflüchtete abweisen lassen. Damit würde der sogenannte Asylstreit zwischen den Schwesterparteien weiter eskalieren, ein Bruch des Unionsbündnisses und damit ein Ende der Koalition würde drohen.
Zum informellen Arbeitstreffen am Sonntag hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geladen. Ob es Merkel tatsächlich gelingt, außer Frankreich weitere Regierungen für bilateralen Abkommen zu gewinnen, ist nicht erst seit Salvinis Absage fraglich. Allerdings sieht ein Entwurf für eine gemeinsame Erklärung der Regierungschefs Mechanismen zur Rücknahme von Migranten vor. »Wir werden einen flexiblen gemeinsamen Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen einrichten«, zitiert die »Süddeutsche Zeitung« daraus. Unklar war allerdings zunächst, welche Staaten das Papier bislang unterstützen.
Salvini, der auch der rassistischen Regierungspartei Lega vorsitzt, hatte am Mittwoch klargemacht, dass Italien in der Migrationsfrage Fortschritte bei der Reform der Dublin-Regeln erwarte und nicht bereit sei, Zugeständnisse zu machen. Auf die Frage, ob Italien Deutschland helfen und Asylbewerber zurückzunehmen würde, sagte Salvini, die Regierung in Rom wolle nur den Italienern helfen. Er drohte außerdem damit, Zahlungen ins EU-Budget zu überdenken, sollte es keine Reform der Dublin-Regeln geben.
Außerdem sieht er Spanien in der Pflicht, die »vier nächsten Flüchtlingsschiffe« aufzunehmen, die vor der Küste Libyens gerettet werden. »Spanien hätte 3265 Asylbewerber aufnehmen sollen, aber bislang hat es nur 235 aufgenommen, deshalb kann es die nächsten vier Schiffe aufnehmen«, sagte Salvini bei einer Pressekonferenz mit seinem österreichischen Kollegen Herbert Kickl in Rom.
Salvini sagte, er rede von den »zwei europäischen Ländern, die in den vergangenen Tagen maßgeblich Großzügigkeit, Solidarität und Empfang geäußert haben«. Er bezog sich auf den Streit um das von Italien abgewiesene Schiff »Aquarius«, das nach einer tagelangen Irrfahrt durchs Mittelmeer schließlich am Sonntag in Spanien anlegen durfte.
Der Politiker zeigte sich überzeugt, dass es unter der am 1. Juli beginnenden österreichischen EU-Ratspräsidentschaft zu einer Reform der Dublin-Regelungen kommen wird. Demnach ist das Land, in dem ein Geflüchtete erstmals Boden der Europäischen Union betritt, für das Asylverfahren zuständig. Neben Italien verlangen auch Griechenland und Spanien, wo ebenfalls viele Geflüchtete ankommen, eine solche Reform. Österreich bemüht sich um einen verstärkten Grenzschutz und um die Schaffung von Aufnahmelagern für Geflüchtete außerhalb der EU.
Söder stellte vor seinem Treffen mit Kanzler Kurz klar, dass Bayern und Österreich eine gemeinsame Überzeugung in der Migrationspolitik hätten. Europa sei zwar ein weltoffener Kontinent, brauche aber einen besseren Schutz der Außengrenzen und eine Begrenzung der Zuwanderung.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kritisierte unterdessen Kurz' Regierung, weil sie EU-Mitglieder wie Polen oder Ungarn darin unterstütze, sich nicht an einer EU-weiten Verteilung von Geflüchteten zu beteiligen. »Wir erreichen nichts, weil sich diese Länder seit 2015 dagegen wehren«, sagte Asselborn dem Bonner »General-Anzeiger« (Donnerstag).
Die Debatte darüber, wie eine Neuregelung der europäischen Asylpolitik aussehen könnte, schwelt schon seit Jahren. Vorschläge einer gleichmäßigeren Verteilung, wie sie vor allem Deutschland unterstützt, werden von den Ländern der Visegrád-Gruppe aus Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien nicht unterstützt. Beim Treffen am Wochenende werden diese Mitgliedsstaaten nicht teilnehmen. Sie halten derzeit ein eigenes Treffen ab.
Einigkeit herrscht derweil darüber, dass es eine weitere Verschärfung der Sicherheitsarchitektur an den europäischen Außengrenzen geben soll. Auf dem EU-Gipfel Ende Juni wird EU-Ratspräsident Donald Tusk ein Papier einbringen, in dem zentrale Sammellager für Geflüchtete in Afrika in die Debatte geworfen werden. Schon dort soll über ihre Schutzbedürftigkeit entschieden werden. Das Ziel ist klar: Die Europäische Union will sich noch weiter abschotten – und Geflüchtete am besten schon in Afrika abwehren. nd/Agenturen
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