Snowdens von heute ohne Schutz
Whistleblower-Preis geht an Hinweisgeber zu Krebsmittel-Panschereien und illegalen Waffengeschäften in der Türkei
Viele schwer kranke Menschen haben Maria-Elisabeth Klein und Martin Porwoll wahrscheinlich ein längeres Leben zu verdanken. Die beiden ehemaligen Mitarbeiter der »Alten Apotheke« in Bottrop machten 2016 ihre Vermutungen publik, dass dort unter anderem Krebsmedikamente gestreckt und umetikettiert wurden. Der Chef der Apotheke steht nun vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft geht von rund 3500 geschädigten Personen aus. Porwoll ist sich sicher, die Dunkelziffer liegt weit höher.
Für ihren Mut erhielten der Volkswirt und die pharmazeutische Assistentin den Whistleblower-Preis 2017. Alle zwei Jahre wird der von Mitgliedern der IALANA und der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) vergeben. Weiterer Preisträger ist der ehemalige Chefredakteur der »Cumhuriyet«, Can Dündar. Er brachte illegale Waffenlieferungen des Erdogan-Regimes an Islamisten in Syrien ans Licht.
Am Donnerstag wurde in Berlin das Dokumentationsbuch zu den beiden Fällen vorgestellt. Für Porwoll und Klein ist der Preis zumindest eine öffentliche Würdigung. Eine Rehabilitierung im Berufsleben bedeutet das aber nicht. Beide verloren nach ihrem Gang an die Öffentlichkeit den Arbeitsplatz. Klein hat mittlerweile eine neue Stelle gefunden, bei einem Arbeitgeber, der ihr Verhalten ehrenwert findet. Porwoll dagegen blieb bei der Jobsuche bis heute erfolglos. »Man ist nachhaltig beschädigt«, sagt er. Zwar könne er nicht beweisen, dass man ihn aufgrund seines Whistleblowings nicht einstelle, doch er spüre die Vorbehalte ihm gegenüber. Porwoll hat sich, so sagt er, zu seinem Gang an die Öffentlichkeit entschlossen, um der gefährlichen Praxis des Apothekers ein Ende zu setzen. Aber auch, weil er dazu beitragen wollte, die Rahmenbedingungen zu ändern, die das möglich machten.
Letzteres ist ihm nur bedingt gelungen. Zwar will das Land Nordrhein-Westfalen dafür sorgen, dass zukünftig unangemeldete Prüfungen in Apotheken stattfinden. Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler sieht jedoch ein strukturelles Problem, das weit über das Bundesland hinaus geht. Der Bottroper Skandal, so heißt es, sei kein Einzelfall, sondern vielmehr ein Symptom. Die Vereinigung beklagt unter anderem unzureichende Kontrollen der Apothekenaufsicht und ein problematisches Bund-Länder-Gefüge, das Transparenz behindere. Auch Porwoll meint: »Das ist eine Branche, die sehr genau untersucht werden sollte.«
Seine Feststellung, dass der Aufklärungswille involvierter Behörden gering blieb und Geschädigte schlecht bis gar nicht informiert wurden, veranlasste Porwoll seinerzeit auch dazu, sich an die Presse zu wenden. Mit diesem Schritt hatte er lange gehadert, aus Angst vor Vorwürfen, es ginge ihm um Publicity.
Die Erlebnisse des Ökonomen und seiner Kollegin machen deutlich, welche persönlichen Konsequenzen Whistleblower in Deutschland auf sich nehmen. In Porwolls Kündigung wurden ihm verschiedenste Vergehen vorgeworfen, die sich erst nach langer juristischer Auseinandersetzung als haltlos erwiesen. Eine Abfindung vom Arbeitgeber hat er bis heute nicht erhalten. Auch Klein wurde vor Gericht als Kriminelle diffamiert.
Dass Whistleblower als Straftäter behandelt werden, ist häufig der Fall. Auch dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren oder schlimmstem Mobbing ausgesetzt sind, ist die Regel. Seit langem wird deshalb in Deutschland ein gesetzlicher Schutz von Whistleblowern gefordert.
Die EU-Kommission legte im April einen Vorschlag zum Umgang mit Hinweisgebern vor. Darin ist unter anderem vorgesehen, dass Unternehmen interne Meldesysteme einführen. Wenn die nicht greifen, soll den Hinweisgebern der Weg zu Behörden und im letzten Schritt an die Presse offen stehen. Zudem ist ein gewisser Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen - auch indirekten wie Mobbing - vorgesehen. Whistleblower sollen außerdem unabhängig von ihren Motiven geschützt werden.
Der Anwalt Wolfgang Kaleck, auch Rechtsbeistand von Edward Snowden, warnt jedoch vor zu hohen Erwartungen. Er schreibt: »Whistleblower werden auch mit neuen EU-Regeln ein hohes Risiko eingehen.« Für ihn bleibt aber die Hoffnung, dass EU-Mindeststandards die Nationalstaaten zum Handeln treiben.
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