»Rote Sau« gebrüllt und geschubst
Amtsgericht Fürstenwalde verhandelte Angriff auf ehemaligen Limsdorfer Kommunalpolitiker
Beim Gassigehen mit dem Hund passierte es. Knapp drei Jahre ist das her. Wolfgang Hoffmann spazierte durch die zur Stadt Storkow gehörende Ortschaft Limsdorf. Da fuhr ein Auto auf ihn zu. Er sah, dass der Fahrer beschleunigte und auf ihn zulenkte. Alles Sekundensache. Letztendlich raste das Auto nur wenige Zentimeter entfernt an ihm vorbei. Das Herz sei ihm fast stehengeblieben, sagt er über diesen Moment. Er drehte sich um, hob die Faust und brüllte hinterher: »Du Lümmel!« Das hörte der Autofahrer zwar nicht, sah aber die Geste im Rückspiegel. Er stoppte, wendete, kam zurück ...
»So fangen schlechte Geschichten an«, resümierte Richter Meinolf Brüser am Donnerstag im Amtsgericht Fürstenwalde. Viereinhalb Stunden dauerte die Verhandlung, und dabei war es bereits der dritte Gerichtstermin in dieser Sache.
Was passierte, nachdem der Raser aus seinem Auto gestiegen war? Der Angeklagte Christian T. brüllte: »Du willst Streit? Kannste haben!« und schubste Hoffmann. Der Angeklagte meint gesehen zu haben, dass der andere nur strauchelte. Der Betroffene sagt, er sei gefallen - gegen den Zaun und ein Transformatorenhäuschen. Er stand auf und lief weg. Doch Christian T. griff Hoffmann von hinten an und stieß ihn zu Boden. Dass Hoffmann hingefallen sei, will der Angreifer aber nicht gesehen haben. Das Opfer erinnert sich an die Drohung: »Ich bringe dich um, du rote Sau!« Der Täter räumt ein, gerufen zu haben: »Ich mache dich alle, du rote Sau!«
Opfer und Täter kennen sich schon lange. Im Jahr 2000 zog Hoffmann von Berlin nach Limsdorf. Es gefiel ihm. Hier wollten er und seine Frau - sie sind Herausgeber der Zeitschrift »Märkische Lebensart« - alt werden. Wolfgang Hoffmann spielte bei Familie T. den Weihnachtsmann. Im Jahr 2008 wurde er als Einzelbewerber zum ehrenamtlichen Ortsvorsteher gewählt. Das war ein großer Vertrauensbeweis. Im Dorf gelten Zugezogene nach 20 Jahren eigentlich noch immer als »die Neuen«.
Als Hoffmann auffälliges Verhalten des jungen Christian T. bemerkte, sprach er dies direkt an und besprach es auch mit anderen. Aber in Limsdorf seien alle hinter der Gardine und nicht draußen, erinnert sich Hoffmann. Sie wollten nichts sehen, nichts hören, nichts sagen und schon gar nicht eingreifen. Hoffmann zeigte Christian T. schließlich an, weil dieser mit anderen Jugendlichen - im Garten des Jugendklubs sitzend - den Arm zum Hitlergruß erhob, als die Hoffmanns vorbeifuhren. Es gab noch mehr Vorfälle: Die Parole »Die Demokraten sind der Volkstod« tauchte auf, Wahlplakate wurden abgerissen, das Haus der Hoffmanns mit Raketen beschossen, der Briefkasten mit Böllern gesprengt. Es gab anonyme Beschimpfungen, und Unterschriftenlisten zur Abwahl des Ortsvorstehers wurden verteilt. Hoffmann sprach alle Probleme an. Er stieß auf taube Ohren. »Unsere Kinder doch nicht!«, hörte er, wenn er berichtete, dass sich nach seiner Beobachtung im Jugendklub rechte Kräfte treffen.
Es soll Zeugen der Attacke vom 27. Juli 2015 geben. Aber im Gericht erschien niemand. Hoffmann war am nächsten Tag zur Polizei gegangen. Er traute sich nicht mehr, durch Limsdorf zu laufen. Seit drei Jahren macht er eine Therapie, um die Angstzustände loszuwerden. Er legte seine politischen Ämter nieder - er war auch Stadtverordneter in Storkow -, verkaufte sein Haus und zog weit weg. »Ich bin nicht mehr der Alte«, sagte Hoffmann vor Gericht. Er wurde räumlich getrennt von dem Angeklagten befragt, den er wegen seiner Panikattacken weder sehen noch hören darf.
Richter Brüser entschied schließlich, dass der Angeklagte 2400 Euro Geldstrafe zahlen muss und außerdem ein Schmerzensgeld von 500 Euro. Ob Hoffmann die 500 Euro jemals erhält, ist fraglich. Denn im Strafregister von Christian T. gibt es neun Eintragungen wegen Körperverletzung und Beleidigung. Er wurde bereits zu Geldstrafen verurteilt, hat auch schon im Gefängnis gesessen. Im vorliegenden Fall kam dem Angeklagten zugute, dass Hoffmann keine äußerlich sichtbaren Verletzungen erlitt. Ob das Opfer nun hingefallen sei oder nicht, dies sei nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu sagen, hieß es in der Urteilsbegründung. Damit gehöre das Ganze in den Bereich der Bagatellkriminalität.
Anwalt Rüdiger Schulzke hatte als Verteidiger des Angeklagten darauf plädiert, dass der Tatbestand der Körperverletzung und Beleidigung nicht erfüllt sei. »Die Titulierung als ›rote Sau‹ ist doch noch hinnehmbar - erst recht als Person des öffentlichen Lebens«, argumentierte Schulzke. Wolfgang Hoffmann und seine Frau finden es befremdlich, dass man erst bluten müsse. Sie wundern sich, dass seelische Verletzungen anscheinend nicht zählten. Ihr Leben in den letzten drei Jahren war schlimm. Sie wollen nun endlich ihren Frieden wiederfinden.
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