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- Wahlen in der Türkei
»Jetzt hat Erdogan die absolute Macht«
Politiker von Grünen, Linkspartei und SPD kritisieren Wahlen in der Türkei als unfair
Berlin. Politiker von Grünen, Linkspartei und SPD haben die Wahlen in der Türkei als unfair kritisiert. Die Medien des Landes würden zu »praktisch 90 Prozent« von Präsident Recep Tayyip Erdogan kontrolliert, sagte der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir am Montag im Deutschlandfunk. Auch habe der Präsidentschaftskandidat der prokurdischen Linkspartei HDP, Selahattin Demirtas, »seinen Wahlkampf aus dem Gefängnis heraus« bestreiten müssen. Linksfraktionsvize Sevim Dagdelen sprach von einem »schwarzen Tag für die Demokratie«.
Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen setzte sich Erdogan nach Angaben der staatlichen Wahlkommission bereits im ersten Wahlgang mit 52,5 Prozent der Stimmen als Präsident durch. Auch im Parlament eroberte das Wahlbündnis von Erdogans AKP und der ultrarechten MHP eine absolute Mehrheit. Mit der Wahl tritt zugleich eine Verfassungsreform in der Türkei in Kraft, mit der die Befugnisse des Staatspräsidenten deutlich erweitert werden.
»Jetzt hat Erdogan die absolute Macht im Land und ich sehe niemanden, der sich ihm wirklich entgegensetzen kann«, sagte Özdemir. Positiv wertete er, dass die HDP »trotz massiver Unterdrückung« mehr als zehn Prozent erreicht und damit den Wiedereinzug ins Parlament geschafft habe. Ähnlich sah dies auch der LINKEN-Vorsitzende Bernd Riexinger. »Unsere Freundinnen und Freunde der HDP schaffen den Sprung über die 10 Prozent und sind stärker als zuvor im türkischen Parlament vertreten. Wir freuen uns und gratulieren herzlich – der Kampf für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit geht weiter!«, so der LINKEN-Chef auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
Auch die LINKEN-Bundestagsabgeordnete Helin Evrim Sommer versuchte dem Wahlsonntag etwas positives abzugewinnen. »Trotz massiver Wahlmanipulation verliert Erdogan seine absolute Mehrheit im türkischen Parlament. Er erhält nur 42 Prozent«, so Sommer. Die HDP zieh dagegen als drittstärkste Kraft mit 67 Abgeordneten ins Parlament ein. Das sei »ein großer Sieg für die Demokratie und die HDP.«
Die LINKEN-Abgeordnete Dagdelen sagte dem RBB-Sender Radio eins: »Lange vor dem Wahltag selbst gab es Manipulationen, um das Ziel zu erreichen, ein autoritäres Präsidialsystem in der Türkei dann tatsächlich auch einzuführen.« Der Ausnahmezustand, der seit Sommer 2016 nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei herrscht, sei jetzt Normalzustand geworden.
Die SPD-Politikerin Cansel Kiziltepe sprach im ARD-Morgenmagazin von einem »Fest der Autokratie, das wichtige Weichen weg von der Demokratie« stelle. Erdogan habe mit dieser Wahl »sein Lebensprojekt realisiert. Er hat jetzt Staats-, Regierungs- und Parteiamt in einer Hand. Das ist nicht wirklich demokratisch, weil die Gewaltenteilung nicht mehr gegeben ist«, warnte Kiziltepe.
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich forderte die Türkei auf, wieder zu rechtsstaatlichen Verhältnissen zurückzukehren. In den kommenden Tagen werde sich zeigen, ob Ankara bereit sei, auf entsprechende Forderungen aus Deutschland einzugehen, sagte Mützenich im RBB-Inforadio. So müsse der Ausnahmezustand aufgehoben werden, politische Gefangenen müssten entlassen werden.
Die Kurdische Gemeinde in Deutschland verwies darauf, dass Erdogan »trotz zahlreicher Unregelmäßigkeiten« nur 52,5 Prozent erreicht habe. Der Bundesvorsitzende Ali Ertan Toprak erklärte: »Wer trotz der massiven Behinderung der Opposition, unter Nutzung sämtlicher staatlicher Ressourcen und Medien sowie dokumentierter Wahlmanipulationen an vielen Urnen auf dieses Ergebnis kommt, hat eigentlich verloren.«
Scharfe Kritik übte Toprak am Verhalten der türkischen Wähler in Deutschland: »Alle Türken, die die Errichtung eines Ein-Mann-Regimes auf deutschen Straßen feiern, zeigen damit, dass sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen.«
Auch Özdemir kritisierte die Erdogan-Anhänger, die in der Nacht in verschiedenen deutschen Städten dessen Wiederwahl gefeiert hatten. Sie hätten »nicht nur gefeiert, dass ihr Alleinherrscher jetzt noch stärker Alleinherrscher wird«, sondern auch »ein bisschen eine Ablehnung zur liberalen Demokratie zum Ausdruck gebracht«, sagte der Grünen-Politiker im Deutschlandfunk. Agenturen/nd
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