Eine Frage der Wahrnehmung

Thüringens neuer SPD-Chef sieht seine Partei auf Kurs

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Gespräch hat gerade erst begonnen und sofort versucht Wolfgang Tiefensee jeden Zweifel daran zu zerstreuen, er könnte sich zu viel vorgenommen haben, als er sich am 11. März 2018 zum Thüringer SPD-Vorsitzenden wählen ließ. Immerhin ist die Lage seiner Partei im Land wie im Bund schwierig. »Die Herausforderung ist nicht größer, als ich mir das vorgestellt habe«, sagt Tiefensee trotzdem. »Ich kenne die Thüringer SPD.« Tatsächlich sei man bei der viel beschworenen Erneuerung der deutschen Sozialdemokratie doch auch in Thüringen schon ein gutes Stück weit vorangekommen. »Jetzt geht es darum, ganz konkrete Projekte zu identifizieren und umzusetzen.«

Was freilich ein widersprüchlicher Satz ist, denn Tiefensee hat bereits in seiner Bewerbungsrede für das Chef-Amt im Land vor etwa 100 Tagen ziemlich konkrete Projekte benannt, die die SPD unter seiner Führung umsetzen soll. Etwa die Senkung der Grunderwerbssteuer in Thüringen von derzeit 6,5 auf fünf Prozent. Dafür immerhin, sagt Tiefensee, der auch Thüringer Wirtschaftsminister ist, habe er inzwischen die volle Rückendeckung der SPD-Landtagsfraktion und von Finanzministerin Heike Taubert, ebenfalls SPD.

Bei den Verhandlungen innerhalb der rot-rot-grünen Koalition zur Aufstellung des Haushaltes für 2020 werde die SPD dieses Ziel wie angekündigt vehement verfolgen, sagt der SPD-Chef. Und falls sich LINKE und Grüne bei der Grunderwerbssteuer oder auch bei anderen SPD-Projekten - unter anderem: mehr sozialer Wohnungsbau und die Einführung eines echten Azubi-Tickets - querstellen sollten, werde man das zu Themen im SPD-Programm für die Landtagswahl 2019 machen.

Es sind allerdings nicht alle Genossen davon überzeugt, dass Tiefensee der richtige Mann für die Spitze der Landes-SPD ist. So sagt zum Beispiel der Juso-Landesvorsitzende Oleg Shevchenko, er habe sich vom neuen SPD-Chef in den vergangenen Wochen »mehr inhaltliche Präsenz« gewünscht. »Mir fehlt die SPD in ganz wichtigen strategischen Debatten, etwa in der Bildungspolitik.«

Zudem, so Shevchenko, habe Tiefensee es bislang unterlassen, klarzumachen, dass die SPD mit einem Spitzenteam in die Landtagswahl 2019 ziehen müsse - obwohl das in den ersten 100 Tagen sehr wohl machbar gewesen wäre. Stattdessen habe der Neue bislang nur deutlich gemacht, dass er selbst Spitzenkandidat seiner Partei für diese Wahl werden wolle. »Eine Partei, die bei der letzten Landtagswahl zwölf Prozent geholt hat, kann sich aber nicht auf einer Person ausruhen«, sagt der Juso-Chef. In einem solchen Team müssten junge Menschen und vor allem auch junge Frauen eine wichtige Rolle spielen, wenn die SPD die Mission Erneuerung ernst nehme.

Andere Sozialdemokraten werden hinter vorgehaltener Hand noch deutlicher. Dazu, dass Tiefensee bislang viel zu wenig öffentliche Präsenz zeige, sagt zum Beispiel ein Parteimitglied: »Viel unsichtbarer war der bisherige Vorsitzende auch nicht.«

Tiefensee, ehemals Leipziger Oberbürgermeister und später Bundesverkehrsminister, will jeden Eindruck vermeiden, zwischen ihm und einigen Genossen gebe es Gräben. »Ich erhalte eine sehr gute Unterstützung von der Partei«, sagt er. Ob er sich in der Vergangenheit bei einzelnen Vorhaben auch mal noch mehr Unterstützung von seinen Genossen erhofft habe, als er sie erhielt? »Nein. Ich höre eher, dass unser Tempo und die Aufgabenfülle bei manchen an die Belastungsgrenze stößt.«

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