Zu viele
Parallelgesellschaft
Sie leben mitten unter uns, seit Jahrzehnten. Und doch wollen sie von uns nichts wissen. Was wir wissen, was wir fühlen, was wir lesen, was wir denken, was wir schreiben, interessiert sie nicht. Unsere Zivilisation, der sie nur mit Verachtung begegnen, ist ihnen ein Rätsel geblieben.
Sie halten an einem überkommenen Geschlechterbild fest, das aus einer Zeit stammt, an die denkende und empfindende Menschen sich nicht gerne erinnern. Sie feiern lächerliche archaische Rituale: mittelalterliche Gottesdienste, primitive Volkstänze, barbarisches Treiben von Männerkollektiven. Sie bekennen sich freimütig zu ihrem Hass auf alles Urbane, Kosmopolitische, Weltoffene und sind besessen von der Idee, alle anderen müssten ihr Dasein so fristen wie sie selbst: verblendet, karg und beschwerlich, geopfert der Arbeit, dem Gebet und sinnloser Brauchtumspflege, gebunden nur an die eigene Sippe, den eigenen gottverlassenen Landstrich und verödeten Ackerboden, gefesselt von den eisernen Ketten der Tradition und freiwillig darbend unter der Knute des Dogmas.
Sie sind starrsinnige religiöse Fundamentalisten, wollen auch in öffentlichen Bildungs- und Kultureinrichtungen nicht von ihrem Glaubenswahn und ihren Obsessionen Abstand nehmen, wollen unschuldige Kinder schon in Kindergarten und Schule mit ihrer Gottespest indoktrinieren, damit diese dereinst so engstirnig, so vernagelt, so dumm, so feindselig gegenüber allem Lebenden werden wie sie selbst.
Sie hetzen voller Verachtung gegen den Pluralismus, gegen die Demokratie, gegen unsere Werte. Sie weigern sich, die deutsche Sprache zu erlernen, sprechen unverständlichen Kauderwelsch, kleiden sich in fremdartige Gewänder und tragen gewöhnungsbedürftige Kopfbedeckungen. Sie wollen sich nicht anpassen. Sie haben sich hier in Deutschland in einer Parallelgesellschaft eingerichtet, die uns wie vollständig aus der Zeit gefallen scheint - und doch dürfen wir die Menschen, die unfreiwillig in dieser Parallelgesellschaft leben, nicht aufgeben. Jeden Tag müssen wir ihre Lügen, ihre Hetze, ihre Propaganda, ihre schrillen Forderungen, ihre verdrehte Weltsicht, ihre Wahnvorstellungen klaglos über uns ergehen lassen. Wir müssen diese Sorte Leute jeden Tag erdulden. Viele von uns haben sich schon daran gewöhnt. Zu viele von uns.
Doch das Problem ist: Einer von ihnen ist unser Innenminister. Und ähnlich wie Kaiser Bokassa sich einst selbst krönte, so hat sich auch Horst Seehofer in dem ihm eigenen Größenwahn einen Fantasietitel dazuerfunden: »Heimatminister«. Als solcher treibt er derzeit die Verhorstung Deutschlands voran: Uns allen will er die bizarre Weltsicht seines Blut-und-Boden-Clans aufnötigen, uns dazu zwingen, so zu denken, so zu empfinden, so zu handeln wie er und seine Stammtischtrottel, die sonderbaren Rituale und Gesetze seiner Sippe, seiner Sekte, seiner Horde anzunehmen. Bündnispartner waren für ihn schnell und leicht zu finden: die Straches, die Orbans, die Salvinis. Figuren, die in ihren Ländern halb- und dreiviertelfaschistische Systeme errichten und gerettete Flüchtlinge als »Menschenfleisch« bezeichnen, Halb- und Dreiviertelnazis, die man noch vor wenigen Jahren für einige ihrer Äußerungen juristisch belangt hätte. Mit solchen paktiert der Innen-, pardon, »Heimatminister« Seehofer. Man fragt sich minütlich, was derzeit eigentlich die SPD so treibt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.