»Einmal wird ein neues Ideal erstehen«
Gemalte Zeitenwenden - das Käthe-Kollwitz-Museum in Köln zeigt eine neue Ausstellung zum Gedenken an das Kriegsende von 1918
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, das sie nicht mehr miterlebte, war Käthe Kollwitz (1867 - 1945) nur noch grenzenlos müde, berichtet ihre Enkelin Jutta Bohnke. Doch noch unter dem Eindruck der Bombardierung Dresdens hielt Kollwitz bis zu ihrem Tod an ihrer Utopie von der Bruderschaft der Menschen fest: »Einmal wird ein neues Ideal erstehen, und es wird mit allem Krieg zu Ende sein«, sagte sie ihrer Enkelin.
Zeit ihres Lebens hatte Kollwitz sich in ihrem Werk intensiv mit den politischen Ereignissen ihrer Zeit auseinandergesetzt. Wie sich die dramatischen Umbrüche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihrem Schaffen spiegeln, zeigt derzeit eine Ausstellung im Käthe Kollwitz Museum in Köln anlässlich des Endes des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Unter dem Titel »›Aber einmal wird ein neues Ideal entstehen.‹ Zeitenwende(n) - Aufbruch und Umbruch im Werk von Käthe Kollwitz« sind bis zum 16. September rund 200 Zeichnungen, Druckgrafiken, Plastiken und Plakate zu sehen.
Trauer, Schmerz, Tod und Leid, aber auch die Beziehung zwischen Mutter und Kind sind zentrale Themen in Kollwitz’ Werk. Die Ausstellung richtet ihren Fokus aber vor allem auf Kollwitz als politisch denkenden Menschen. Unter anderem ihre Plakatentwürfe - etwa mit pazifistischen Botschaften - waren es ja, die sie zu einer der bekanntesten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts machten. Dennoch sagt Museumsdirektorin Hannelore Fischer, neue Forschungsergebnisse zeigten, dass diese Seite der Künstlerin immer noch unterschätzt werde.
Kollwitz war mit der intellektuellen Berliner Elite befreundet. Sie kannte etwa den Dramatiker Gerhart Hauptmann, der sie zu ihrem Bilder-Zyklus »Ein Weberaufstand« inspirierte, oder Albert Einstein. Als Karl Liebknecht ermordet wurde, rief dessen Witwe sie an sein Totenbett, um ihn zeichnen zu lassen. Daraus entstand einer der bekanntesten Holzschnitte von Käthe Kollwitz, der auch in der Ausstellung zu sehen ist.
Bereits im Kaiserreich drücken Kollwitz’ Arbeiten ihre progressive Gesinnung und eine Anklage der sozialen Verhältnisse aus. Sie wächst in Königsberg in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf. Als sie 1891 mit ihrem Mann, dem Arzt Karl Kollwitz, in das Berliner Viertel Prenzlauer Berg zieht, wird die junge Künstlerin mit dem Elend der Arbeiter konfrontiert. Es entstehen erste sozialkritische Arbeiten. Das Arbeiten in Schwarz-Weiß, dem Kollwitz’ mit nur einer kurzen Unterbrechung weitgehend treu bleibt, ist hier bereits angelegt.
Ab 1908 löst Kollwitz sich von historischen und literarischen Anlehnungen und wendet sich den Problemen des Großstadtproletariats direkt zu. Sie zeichnet die abgehärmten Gesichter der Arbeiter und vor allem ihrer Frauen und Kinder, die in der Arztpraxis von Kollwitz’ Mann Hilfe suchen. Spätestens ab Ende 1912 ist der Künstlerin die Gefahr des heraufziehenden Krieges bewusst. Allerdings unterschätzt sie seine Dramatik. »Wir hatten damals noch keinen Krieg erlebt«, sagt sie rückblickend. »Wir lebten in Hölderlins Auffassung vom ›Tod fürs Vaterland‹.«
Ein tiefer Einschnitt in Kollwitz’ Leben bedeutet der Tod ihres Sohnes Peter, der gleich zu Kriegsbeginn fällt. Danach entwickelt sie sich zur glühenden Pazifistin. Eines ihrer bekanntesten Werke ist das Plakat »Nie wieder Krieg« (1924). Die Lithographie, die in kaum einem Geschichtsbuch fehlt, zeigt einen Jugendlichen mit wehenden Haaren, der eine Hand zum Schwur emporreckt.
In der Zeit der Weimarer Republik ist Kollwitz auf dem Gipfel ihrer Bekanntheit. 1919 wird sie als erste Frau in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen. Auf Veranstaltungen der politischen Linken ist sie eine beliebte Rednerin und führt ein offenes Haus. 1932 und 1933 unterzeichnen sie und ihr Mann einen Aufruf zum Zusammenschluss der linken Parteien, um eine Machtergreifung der Nationalsozialisten zu verhindern. Die Folge: Sie muss die Preußische Akademie der Künste verlassen und hat ab 1936 praktisch Berufsverbot.
In dieser Zeit entsteht auch ein mit Kohle gezeichnetes Selbstporträt, das das Kölner Museum erst in diesem Jahr in einer New Yorker Galerie erwerben konnte. Das Besondere daran: Während Kollwitz den Betrachter in ihren Selbstporträts sonst anblickt, zeigt sie sich hier mit ernstem Blick von der Seite. Um sie herum ist es still geworden: Die lebendige intellektuelle Szene ist von den Nationalsozialisten niedergeschlagen. Sie selbst kann öffentlich kaum noch Stellung beziehen.
Ende 1941 wendet Kollwitz sich mit einer Lithographie ein letztes Mal gegen den Krieg. Veröffentlichen konnte sie das Werk, das sie als ihr Testament bezeichnete, nicht. Bis heute gilt »Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden« jedoch als kraftvolles Plädoyer gegen den Krieg. epd/nd
Die »Zeitenwende(n)«-Ausstellung im Käthe-Kollwitz-Museum Köln am Kölner Neumarkt 18-24 ist bis zum 16. September zu sehen. Geöffnet Dienstag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 18 Uhr.
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