Verkehrt
Uwe Steimle
Was sind das für verrückte Zeiten: Da fiebern die Linken mit Angela Merkel, auf dass sie Bundeskanzlerin bleiben möge. Und die Rechten fordern das, was noch vor wenigen Jahren jeder Linke sich auf die Fahnen geschrieben hätte: »Merkel muss weg!« Ursächlich für diese verkehrte Welt ist eine für beide Seiten längst zum Mythos verklärte Entscheidung aus dem Jahr 2015, als Merkel sich entschied, den vielen Flüchtenden die Möglichkeit zur Einreise nach Deutschland nicht zu verweigern.
Seitdem hat die CDU-Vorsitzende mehrmals das Asylrecht verschärft, sie hat einen Deal zur Flüchtlingsabwehr mit dem türkischen Autokraten Erdoğan ausgehandelt, und aktuell ist sie dabei, die Asylpolitik der CSU endgültig in Europa zu etablieren. Vom Abbau des Sozialstaats, von der Lobbyarbeit für die Reichsten und von der Verschärfung ökologischer Probleme muss da nicht mehr die Rede sein, um zu erkennen, dass aus linker Sicht keine tagespolitische Forderung so dringend erscheint wie: Merkel muss weg!
Das aber fordern, mit Ausnahme mancher selbst immer wieder durch die linksliberalen Eliten in die falsche Ecke gestellter Vertreter der Linkspartei, derzeit nur die Rechten. Merkel behält wegen ihrer abwägenden und diplomatischen Performance das Image der Menschenfreundin. Parallel ist im Gefolge von grassierendem Rassismus und Sexismus in westlichen Staaten ein Empörungsfuror im Gange. Längst abgedrehte Folgen der US-Serie »Roseanne« werden im deutschen Fernsehen nicht gezeigt, weil die Hauptdarstellerin Roseanne Barr privat einen rassistischen Tweet absetzte. Vergangene Woche gelangte ein Papier des ORF an die Medien. Darin fordert der österreichische öffentlich-rechtliche Sender - womöglich in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der rechten Regierung - seine Mitarbeiter auf, sie sollten sich als Privatpersonen im Internet nicht mehr politisch äußern.
Ein aktuelles Beispiel ist der Schauspieler und Kabarettist Uwe Steimle, mit dem die extrem rechte Wochenzeitung »Junge Freiheit« für ihre aktuelle Ausgabe ein Interview geführt hat. Darin findet sich eine sonderbare Aussage, die er in den vergangenen Jahren bereits mehrmals lancierte: »Die Wahrheit ist eben, dass wir keine eigene Politik haben, weil wir ein besetztes Land sind.« Dahinter steckt die Idee, Deutschland sei durch die USA fremdbestimmt. Ansonsten ist da neben einem Bekenntnis zur Linkspartei viel Raunen in den Worten Steimles, der nicht aus seiner Rolle des ostdeutschen Trotzbürgers herausschlüpfen kann. Besonders kritisch sieht er die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensprecher Claus Kleber und Marietta Slomka, deren ideologische Nähe zu den USA ihn abstößt.
Der MDR, für den der Dresdener die Sendung »Steimles Welt« produziert, distanzierte sich am Wochenende via Twitter von Steimle: »Die Aussage ist für den MDR nicht akzeptabel. Damit stellt er sich gegen alle, die täglich politisch unabhängiges Programm machen. Wir werden das mit Uwe Steimle persönlich auswerten.« Wahrscheinlich wird der Sender die Zusammenarbeit mit Steimle beenden. Es wäre ein weiterer Fall, der ein gesellschaftspolitisches Kernproblem offenlegt: Die Tonangebenden im Kulturbetrieb meinen, ein zugrunde liegendes Problem ließe sich lösen, indem man es unsichtbar macht.
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