Merkels letzte Reserve

SPD und Grüne stehen der Kanzlerin längst näher als die CSU

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Sozialdemokraten sind genervt. In den Führungsgremien der SPD herrschte am Montagvormittag wegen des Streits zwischen ihren Koalitionspartnern CDU und CSU über die Asylpolitik Kopfschütteln. So berichtete es jedenfalls Parteichefin Andrea Nahles vor Journalisten im Berliner Willy-Brandt-Haus. Dann rief sie die CSU auf, ihren »Egotrip« zu beenden. Nahles hatte dabei offenbar vor allem den Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer im Blick, über dessen möglichen Rücktritt am Montag weiter spekuliert wurde. »Die Parteien sollen sich zum Koalitionsvertrag bekennen und zur Sacharbeit zurückkehren«, forderte Nahles. Am späten Abend wollte sie mit den Unionsparteien bei einem Koalitionsausschuss über die Zukunft der gemeinsamen Regierung diskutieren. »Wie es jetzt läuft, kann es nämlich nicht weitergehen«, erklärte die SPD-Chefin.

Die von Nahles angedeuteten Drohungen konnten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sozialdemokraten wohl alles dafür tun werden, damit die Koalition nicht auseinanderbricht. Denn bei Neuwahlen würde die Partei nach derzeitigem Stand erneut an Zustimmung verlieren. Umfragen sagen der SPD nur noch 17 bis 19 Prozent der Stimmen voraus. Außerdem haben die Sozialdemokraten gerade erst einen Prozess angestoßen, der angeblich zu einer Erneuerung der Partei führen soll, aber an dessen Ende wohl nur geklärt wird, mit welchen neuen Kampagnen Programm und Spitzenpersonal der SPD künftig präsentiert werden.

Im Asylstreit zwischen CDU und CSU steht die Führung der Sozialdemokraten auf der Seite von Angela Merkel. Die Spitzengenossen lehnen ebenso wie die Kanzlerin den von Horst Seehofer geforderten nationalen Alleingang ab, nach dem Schutzsuchende an der deutschen Grenze abgewiesen werden, wenn sie bereits in anderen Ländern der Europäischen Union registriert sind. Hintergrund ist die Dublin-Regelung, wonach grundsätzlich der EU-Staat, in den ein Asylbewerber nachweislich zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchführen muss.

Vorstand und Präsidium der SPD beschlossen am Montag einen eigenen Fünf-Punkte-Plan zur Flüchtlingspolitik. Darin schlägt die Parteiführung unter anderem vor, dass Geflüchtete, die bereits in einem anderen Staat der EU erfasst und registriert wurden und dort einen Asylantrag gestellt haben, »künftig in einem beschleunigten Verfahren, das rechtsstaatlichen Kriterien genügt, in das Land zurückgeführt werden, das für das Asylverfahren zuständig ist«. Dafür seien außerdem bilaterale Abkommen mit anderen EU-Staaten notwendig, damit diese die Schutzsuchenden zurücknehmen. Auch in dieser Frage liegen die Sozialdemokraten auf einer Linie mit Merkel.

Wenn die Vorhaben der SPD umgesetzt werden sollten, würde dies eine weitere Verschärfung des Asylrechts bedeuten. Denn die Betroffenen müssen damit rechnen, dass die von den Sozialdemokraten geforderten Schnellverfahren alles andere als fair ablaufen würden. Pointierte Kritik an den Plänen der eigenen Führung war in den Reihen der SPD aber zunächst nicht zu hören. Nahles betonte, dass die Parteispitze geschlossen zu dem Papier stehe. »Das erwarte ich nun auch von der Fraktion«, sagte sie. Die Bundestagsabgeordneten der SPD wollten im Laufe des Nachmittags über den Fünf-Punkte-Plan beraten.

Zur Frage nach einer möglichen künftigen Koalition aus CDU, SPD und Grünen äußerte sich Nahles nicht. Diese Konstellation halten manche Beobachter des politischen Geschehens für möglich, wenn es zu einem Bruch zwischen CDU und CSU kommen sollte. Die Grünen haben grundsätzlich Interesse daran, sich an einer möglichen neuen Regierung zu beteiligen. Fraktionschef Anton Hofreiter erklärte am Montag in den Räumen des Bundestags, dass seine Partei sich entsprechenden Gesprächen mit der CDU nicht verweigern würde. Eine Voraussetzung hierfür sei aber, dass die Christdemokraten »handlungsfähig« werden. Hofreiter hatte diesbezüglich Bedenken. »Die CDU ist gespalten«, konstatierte er. Dann nannte er die Namen einiger Merkel-Kritiker. Dazu zählten in der Vergangenheit etwa der thüringische CDU-Chef Mike Mohring, Fraktionsvize Carsten Linnemann und Gesundheitsminister Jens Spahn.

Auch die unterschiedlichen Haltungen in der Flüchtlingspolitik würden ein Zusammengehen von CDU und Grünen erschweren. Hofreiter betonte, dass »Frau Merkel doch längst den humanen Teil ihrer Flüchtlingspolitik geopfert« habe. Er verwies auf den EU-Gipfel in der vergangenen Woche. »Dort ging es darum, Lager in Afrika einzurichten«, kritisierte Hofreiter. Staats- und Regierungschefs der EU wollen, dass in diesen Lagern Schutzsuchende interniert werden. Hofreiter sah auch deswegen »hohe Hürden« für eine mögliche schwarz-rot-grüne Koalition.

Derweil versuchten andere Spitzenpolitiker der Grünen, den Eindruck zu zerstreuen, dass sie notfalls auch eine solche Politik mittragen würden. »Wir stehen nicht für so eine kaputte Regierung als Reserverad zur Verfügung«, sagte Parteichefin Annalena Baerbock am Montag nach einer Sitzung der Parteiführung. Ohnehin sei derzeit nicht klar, wer die Regierung sei und wofür sie stehe.

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