Twitter löscht Millionen von Nutzerkonten

Kritikern geht das Vorgehen von Twitter gegen Fake-Accounts allerdings nicht weit genug

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 3 Min.

Facebook steht wegen der vermeintlichen Einmischung von Russland in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 unter Druck. Doch auch Twitter, der Liebling der Technologiebranche, war schon immer Teil desselben Skandals. Von der russischen Regierung kontrollierte Aktivisten haben mehr als 50.000 Twitter-Konten während des Wahlkampfs genutzt, wie der US-Kongress in einer Untersuchung festgestellt hat. Allein die russische Internet Research Agency hat alleine 3000 davon genutzt.

Twitter geht nun gegen einen solchen Missbrauch vor – zum Leidwesen seiner Investoren. Im Vorhandel fiel der Kurs der Twitter-Aktie am Dienstag in New York von 46,73 Dollar (39,70 Euro) auf 43,97 Dollar. Denn durch die Maßnahmen von Twitter könnte das Unternehmen dramatisch an vermeintlichen Kunden verlieren. Der Anlass: Die »Washington Post« hatte vermeldet, dass Twitter im Mai und Juni etwa 70 Millionen gefälschte Konten gelöscht hat. Das sind 21 Prozent der 336 Millionen Nutzer, die Twitter im April bei den Ergebnissen für das erste Quartal angegeben hat. »Freie Meinungsäußerung bedeutet nicht viel, wenn man sich nicht sicher fühlt«, so Twitter-Vizepräsidentin Del Harvey gegenüber der Zeitung.

Twitter hat bis zum dem jetzigen Absturz des Aktienwertes ein erfolgreiches Jahr erlebt. Die Aktie ist in den vergangenen zwölf Monaten um 145 Prozent gestiegen. Im Februar, fast drei Jahre, nachdem Mitbegründer Jack Dorsey die Führung inmitten von Spekulationen über einen Niedergang von Twitter wieder übernahm, erzielte das Unternehmen erstmals einen Gewinn.

Debatte über gefälschte Konten

Am Montag hat sich Twitter-Finanzchef Ned Segal zu den Kontolöschungen geäußert. »Einige Klarstellungen: Die meisten Konten, die wir entfernen, sind nicht in unseren berichteten Metriken enthalten, da sie 30 Tage oder länger nicht auf der Plattform aktiv waren, oder wir entdecken sie bei der Anmeldung und sie werden nie gezählt«, so Segal, der hinzufügt, dass das Unternehmen mehr Informationen in seinem Geschäftsbericht am 27. Juli veröffentlichen wird.

Twitter hat angegeben, dass etwa fünf Prozent seiner Konten gefälscht sind. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit geäußert, dass es seine Technologie verbessert und mehr Aufmerksamkeit auf gefälschte Konten gelegt hat, die von Künstlicher Intelligenz und anderen automatischen Mechanismen wie Bots betrieben werden.

Kritiker stellen diese Zahl in Frage. »Wenn Sie ein Konto haben, das über tausendmal am Tag twittert, gibt es keine Frage, dass es ein Bot ist«, sagt der Forscher Samuel Woolley vom Digital Intelligence Lab am Institute for the Future in Palo Alto in einem Interview mit der »Washington Post«. »Twitter muss mehr tun, um die Verstärkung und Unterdrückung politischer Ideen zu verhindern.«

Twitter kann es sich leisten

Woolley und andere zitieren vernichtende Kommentare von Dorseys Vorgänger. »Wir sind schlecht im Umgang mit Missbrauch und Trollen auf der Plattform«, schrieb Ex-Chef Dick Costolo in einem Memo an die Mitarbeiter im Jahr 2015. »Wir sind seit Jahren schlecht darin.«

Beobachter führen an, dass es einen riesigen Aufschrei gegeben hätte, wenn sich hinter den 70 Millionen gelöschten Konten tatsächlich reale Personen befunden hätten. Das Unternehmen könne es sich leisten, etwas an Wert zu verlieren, so lange es ihm so gut geht, wie es aktuell der Fall ist. Und so lange US-Präsident Donald Trump Twitter praktisch als Megafon benutzt und somit weitere Aufmerksamkeit für den Dienst generiert.

»Der Markt reagiert über«, sagt auch Analyst Michael Pachter von Wedbush gegenüber CNN. »Wenn aktive Konten gelöscht oder gesperrt würden, wären die betroffenen Benutzer viel lauter.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -