Haitis Regierung lenkt ein
Nach wütenden Protesten werden die vom Währungsfonds geforderten Treibstoffpreiserhöhungen kassiert
Es brodelt in Haiti. Zwar hat Ministerpräsident Jack Guy Lafontant die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geforderten Anhebungen um 38 Prozent für Benzin und 47 Prozent für Diesel »bis auf Weiteres« ausgesetzt, doch zur Normalität ist die Karibikinsel nach tagelangen Protesten noch nicht zurückgekehrt. Die haitianische Hauptstadt war auch am Montagmorgen fast völlig ausgestorben. Die Innenstadt von Port-au-Prince, das vor fast achteinhalb Jahren bei einem Erdbeben fast völlig zerstört wurde, über 300 000 Menschen starben, gleiche erneut einem Trümmerfeld, berichtet ein Reporter des Nachrichtenportals »AlterPresse«.
Der Preisanstieg trifft vor allem den privaten Transportverkehr, der auf die billigen Tap-Tap-Busse angewiesen ist. Auch der Preis für Diesel (47 Prozent) und Kerosin (51 Prozent), mit dem viele arme Haushalte in Ermangelung von Holz kochen, sollte ansteigen.
In einigen Stadtvierteln werde von Schusswechseln und Plünderungen berichtet. Polizei sei so gut wie keine auf den Straßen. Zahlreiche Menschen, die während des 48-stündigen Streiks nicht nach Hause gekommen seien, versuchten sich aus Angst erst jetzt zu Fuß auf den Heimweg zu machen, meldet »AlterPresse«.
Dies wird auch aus anderen Landesteilen berichtet. Die Mehrheit der haitianischen Polizei habe sich in ihren Zentren verbarrikadiert. Auch Polizei-Mitglieder der UN-Mission zur Unterstützung der Justiz in Haiti (MINUJUSTH) ließen sich nicht auf den Straßen blicken.
Zwei Polizeistationen, eine in der Hafenstadt Gonaives, die andere im Hauptstadtbezirk Carrefour, seien bei den Protesten von den Demonstranten in Brand gesteckt und zerstört worden. Nach Presseberichten sind mindestens sieben Personen bei den Unruhen gestorben. Auch ein Polizeibeamter soll sich unter den Todesopfern befinden, berichtet »AlterPresse«.
Journalisten könnten sich bisher kein wirkliches Bild von der Situation im Land machen, berichtet ein haitianischer Kollege, weil alle Tankstellen geschlossen seien und Sprit für die Fahrzeuge fehle, aber vor allem, weil die Situation auf den Straßen zu gefährlich sei.
Mit der Ankündigung der Treibstoffpreiserhöhung reagierte die haitianische Regierung, die seit Anfang 2017 im Amt ist und deren Wahl von zahlreichen Unregelmäßigkeiten überschattet war, auf die Forderung des Internationalen Währungsfonds, (IWF), die Subventionen der Treibstoffpreise einzustellen. Der Nah- und Fernverkehr in Haiti ist nach wie vor in privater Hand. Fahrer in gemieteten Klein-Pick-ups verdienen sich damit ihren Lebensunterhalt. Für fast achtzig Prozent der Bevölkerung, die am Rande oder unter dem Existenzminium von rund zwei Euro pro Tag, sind diese Preiserhöhungen kaum tragbar. Die »Subventionierung« von Treibstoffen und des Elektrizitätssektors koste den Staat, so die Regierungsargumentation, insgesamt 31 Milliarden Gourdes (umgerechnet 405 Millionen Euro).
Seit der Preiserhöhung tobt die Bevölkerung, bricht sich die seit Monaten aufgestaute Wut der Bürger im Armenhaus Lateinamerikas Bahn. »Woher sollen wir das Geld nehmen?« fragt sich Jossel, der von Gelegenheitsarbeiten in Carrefour lebt. Auch die Preise für andere Lebensmittel sind gestiegen. Außerdem hat die Landeswährung Gourdes noch mal an Wert verloren. Aktivisten und die wenigen Gewerkschaften im Land haben der Regierung einen politisch heißen Sommer angedroht - und das bei durchschnittlichen Tagestemperaturen von um die 30 Grad.
Die Politiker bekundeten derweil Einsicht: »Sie haben gesprochen, Ihr Präsident hat Sie gehört«, sagte der 50-jährige Staatspräsident Jovenel Moïse in der Hoffnung, die Gemüter zu beruhigen. Der Agrarunternehmer machte vor allem die Presse für die Unruhen und die »mangelnde Kommunikation der Regierung mit der Bevölkerung« verantwortlich. Mit einer im Rundfunk und Fernsehen übertragenen Ansprache versuchte er, die Situation zu entspannen. Er werde seine Regierung bitten, die Tage zuvor angekündigte Erhöhung der Benzinpreise um 38 Prozent zurückzunehmen. Ministerpräsident Jack Guy Lafontant kam dieser Bitte nach. Der politisch heiße Sommer ist damit aber noch lange nicht abgewendet, denn befriedet ist Haitis Bevölkerung nicht.
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