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Rote Karte für Real
Streiks und Protestaktionen in Dutzenden Städten gegen Tarifflucht der Einzelhandelskette
Freitagvormittag, Gisela Schuster kommt vom Einkaufen. Mit zwei vollgepackten Tüten verlässt die rüstige 69-Jährige die Real-Filiale im Berliner Stadtteil Neukölln. Gegenüber vom Eingang sieht sie rund 35 streikende Beschäftigte in gelben Warnwesten. Einer hält ein Schild hoch mit der Aufschrift »Der Horror ist real - übelste Ausbeutung zum Wohl der Aktionäre«. Immer wieder erklingen Trillerpfeifen, vorbeifahrende Fahrzeuge hupen. Gisela kommt näher, als sie erfährt, worum es geht, schüttelt sie nur den Kopf. »Die sind doch bescheuert bei der Metro.«
Was die Kundin meint: Der Metro-Konzern hatte im Frühjahr für seine Einzelhandelskette Real den mit ver.di ausgehandelten Zukunftstarifvertrag gekündigt. Die bundesweit 34 000 Beschäftigten wurden kurzerhand in ein neues Unternehmen ausgelagert und sollen nun über einen Tarifvertrag mit der arbeitgebernahen Gewerkschaft DHV bezahlt werden. Laut ver.di, - denen man jetzt die Gespräche verweigert - bedeutet das: mehr als 23 Prozent weniger Lohn, längere Arbeitszeiten sowie Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Zeichen stehen auf Konfrontation. Für Freitag und Samstag wurde von ver.di bundesweit zu Streiks aufgerufen.
Auf der Kundgebung in Neukölln muss man nicht lange suchen, um unzufriedene Mitarbeiter zu finden. »Die Arbeitsbedingungen haben sich seit 2015 verschärft«, beschwert sich der Real-Beschäftigte Danny Albrecht gegenüber »nd«. »Das Stammpersonal wird immer weiter ausgedünnt und wenn jemand neues kommt, dann nur noch befristet.« Die Metro-Aktionäre, so Albrecht, würden immer reicher werden, während der Staat Mitarbeiter bezuschussen müsse. »Eine Familie zu ernähren, ein Auto zu besitzen und ab und an ins Konzert zu gehen, ist mit diesem Lohn kaum machbar.«
Die Real-Geschäftsführung weist immer wieder darauf hin, dass der DHV-Tarifvertrag mit den schlechteren Bedingungen nur für Neuangestellte gelten soll - ver.di-Handelsssekretärin Sabine Zimmer nennt das gegenüber »nd« auf der Streikkundgebung eine »Lüge«. Befristet Beschäftigte und Auszubildende hätten demnach keine andere Wahl, als den neuen Vertrag zu akzeptieren, wenn sie weiter bei Real arbeiten wollen. Und auch bei Versetzungen werde bereits Druck ausgeübt. »Wenn man körperlich nicht mehr hinter der Fleischtheke stehen kann und den Bereich wechseln will, bringen sie einem die Schundverträge.« Die Gewerkschaft DHV und auch den mit ihr ausgehandelten neuen Tarifvertrag kritisiert Zimmer stark. »Wenn die Real-Geschäftsführung sich jetzt einfach aussuchen kann, mit welchem Taubenzüchterverein sie verhandelt, kann man das nicht ernst nehmen.«
Auf der Neuköllner Kundgebung erklären derweil Politiker den Streikenden ihre Solidarität. Joachim Rahmann von der Neuköllner SPD spricht ein Grußwort, ebenso der Bundestagsabgeordnete und gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, Pascal Meiser. »Die Tarifflucht bei Real ist trauriger Höhepunkt eines brutalen Handelskrieges«, sagt der Abgeordnete dem »nd«. Bei der aktuellen Auseinandersetzung gehe es ihm nicht nur um Real, sondern darum, eine Abwärtsspirale der ganzen Branche zu verhindern. »Wenn Real fällt, steigt auch der Druck auf die anderen Einzelhandelsunternehmen.«
Meiser fordert die Bundesregierung zum Handeln auf, um ein sich verschärfendes Lohndumping zu verhindern. »Bundesarbeitsminister Hubertus Heil muss auf dem Gesetzesweg dafür sorgen, dass Tarifverträge auch nach Ausgliederungen uneingeschränkt und unbegrenzt weiter gelten.« Zudem müsse die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen »endlich« erleichtert werden.
Laut ver.di beteiligten sich am Freitag mehrere Tausend Mitarbeiter in rund 140 der insgesamt 281 Filialen an der Arbeitsniederlegung. In Wiesbaden gab es eine Demonstration mit etwa 250 Mitarbeitern, in Düsseldorf gingen rund 1200 Beschäftigte auf die Straße. Streikende Mitarbeiter der Unikliniken Düsseldorf und Essen hatten solidarische Grüße an die dortigen Real-Streikenden übersandt. Proteste gab es auch in Ostdeutschland, beispielsweise im brandenburgischen Wildau. 15 Mitarbeiter und Unterstützer hatten hier am Morgen eine Kundgebung abgehalten.
Die hohe Beteiligung zeige, »dass die Belegschaften mutig und solidarisch zusammenstehen, obwohl die Geschäftsleitung enormen Druck gemacht hat, damit sie von den Streiks fernbleiben«, resümierte Stefanie Nutzenberger vom ver.di-Bundesvorstand. Man plane nun weitere Streik- und Aktionstage.
Druck gab es am Freitag für die Metro-Chefetage auch von dem Bündnis »Aktion Arbeitsunrecht«. In über 20 Städten hatten Bürgerrechtler, Gewerkschafter, Solidaritätskomitees und linke Gruppen mit kreativen Aktionen auf die Arbeitsbedingungen bei Real aufmerksam gemacht. In Berlin protestierten am Nachmittag 30 Unterstützer vor einer Real-Filiale im Stadtteil Treptow. In Bielefeld war ein symbolisches Fußballspiel zwischen Real-Beschäftigten und dem Management geplant - gepfiffen vom »gelben Schiri der DVH«. Der vom Bündnis geschaffene Aktionstag »Schwarzer Freitag« fand zum siebten Mal statt.
Die Hauptaktion sollte am Abend in Düsseldorf laufen. In der Innenstadt wollte das Bündnis eine große rote Karte von einem Kran in die Höhe ziehen lassen. Darauf: Unterschriften von wütenden Real-Beschäftigten und ihren Unterstützern aus ganz Deutschland.
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