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Hat es den Holocaust wirklich gegeben?
Ein schwedischer Fernsehsender unterzieht den Genozid an den europäischen Juden einem »Faktencheck«
Im deutschen Privatfernsehen gab es eine Sendung, die schon im Namen eine Verbindung von Gedanken andeutete, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen: »Galileo Mystery«. Einerseits, so deutete die erste Hälfte des Sendungstitels an, wollte sie also wissenschaftliche Aufklärung betreiben, andererseits aber auch sich mit esoterischen Deutungsmustern der Welt auseinandersetzen. Die Sendung lief von 2006 bis 2009 auf Pro 7 und beschäftigte sich in jeder Folge mit historischen oder mystischen Ereignissen. Vor elf Jahren wies man in der Sendung nach, dass am 16. Juli 1969 tatsächlich US-Astronauten den Mond betreten haben. Dies tat man, indem man jedes Argument der Verfechter der These, die Mondlandung sei von den USA nur erfunden, die Astronauten seien in Wahrheit nie auf dem Mond gewesen und Hollywood habe den Flug und das Betreten des Erdtrabanten im Studio gedreht, einem Faktencheck unterzog. Am Ende stand die Erkenntnis: Die Mondlandung hat es wirklich gegeben, alles ist wahr, was in den Geschichtsbüchern steht.
Auch im schwedischen Fernsehen gibt es ein Format, das sich mit der Suche nach der Wahrheit beschäftigt. Es heißt »Faktakollen« und ist ein Onlineangebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders SVT. Dort führte man kürzlich einen Faktencheck zu der Frage durch, ob es den Holocaust gegeben hat. Unter anderem wurde untersucht, ob das Gift Zyklon B wirklich zum industriell betriebenen Massenmord in den NS-Vernichtungslagern geeignet war, wie die Berliner »taz« am Montag dieser Woche berichtete. Am Ende stand die Erkenntnis, dass beide Fragen mit Ja zu beantworten sind. Seitdem treibt die mediale Öffentlichkeit Schwedens die Frage um, ob es überhaupt statthaft ist, solche faktenbasierten Selbstverständlichkeiten wie den Massenmord an den europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs zu hinterfragen.
In der Tat ist der Vorgang fragwürdig, aber dies in doppelter Hinsicht. Den Holocaustleugnern wird durch den »Faktencheck« Seriosität zugestanden; etwas, was Allgemeinwissen ist, wird als diskussionwürdig eingeordnet. Was diskussionswürdig ist, kann aber nicht nur in Frage gestellt werden, es kann sich als falsch herausstellen. Man könnte auch Fragen, ob die Erde wirklich eine Kugel ist, wir tatsächlich in der Welt leben, die wir sehen oder nicht doch, wie der Film »Matrix« es zum Thema hat, in einer von Maschinen erzeugten Scheinwelt existieren, während unsere Körper in riesigen Lagerhallen Robotern als Energiequelle dienen. Man könnte dann auch in Zukunft legitim die Frage stellen, ob es den Holocaust wirklich gegeben hat. Den Irren dieser Welt, möchte man hier instinktiv einwerfen, wird ein Podium geboten, ihre von der Realität verrückte Weltsicht zu verbreiten.
Einerseits - andererseits aber: In einer Zeit, in der die liberalen Deutungsmuster der Welt nicht mehr funktionieren, in denen die westlichen Demokratien nicht zuletzt durch einen US-Präsidenten, der nachweislich Lügen erzählt, aber dennoch ins Amt kam und sich dort halten kann, an Glaubwürdigkeit verlieren, ist ein solcher Faktencheck vielleicht nicht das Schlechteste. Er kann ein Mittel der traditionellen Medien sein, um den durch die Online-Medien mit ihren unzähligen Möglichkeiten zur Selbsterzeugung von Wirklichkeit verunsicherten Menschen wenigstens noch ein wenig Halt zu geben.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Zeitzeugen des Holocaust, die Überlebenden der Shoa, nach und nach weniger werden. Die Shoa wird irgendwann Geschichte sein - und mit ihr die historische Authentizität dem Bewusstsein entrückt sein. Jedes Ereignis aber, das nicht mehr lebendig erzählt wird und nur noch Geschichte ist, steht unter Wahrheitsvorbehalt. Die Wahrheit über die Shoa muss immer wieder neu ergründet, erzählt, ja bewiesen werden. Ansonsten verkommt die Wahrheit zum Glaubensbekenntnis. Den Leugnern der Wahrheit kommt das zupass.
Die Menschen, vor allem jene in Osteuropa, haben es schon einmal erlebt, dass als ehern geltende geschichtliche Wahrheiten über Nacht der Lüge überführt oder zumindest der Lüge bezichtigt wurden. Sie mussten nach 1990 mit der neuen Wahrheit leben, dass selbst die einst als glorreich geltende russische Oktoberrevolution nicht das war, als was sie jahrzehntelang galt - ein heroischer Akt der Volksmassen im revolutionären Russland gegen die herrschende Macht. Den Sturm auf das Winterpalais in St. Petersburg hat es nie gegeben; ihn hat der sowjetische Regisseur Sergej Eisenstein nachträglich für den Film inszeniert.
Heute weiß der westlich sozialisierte Bürger nicht einmal mehr mit Sicherheit zu sagen, ob 9/11 sich so abspielte, wie es in den meisten Medien verbreitet wird, ob John F. Kennedy wirklich nur von einem Einzeltäter erschossen wurde, der Mord an den Bosniaken in Srebrenica wirklich nur den Serben angelastet werden kann etc. pp. Die Französische Revolution wird in den Geschichtsbüchern mit dem Sturm auf die Bastille in Verbindung gebracht. Das Pariser Volk, so die Erzählung, griff das verhasste Stadtgefängnis des französischen Königs an und gab damit den Startschuss zur Entmachtung des Adels. Aber war dieses Ereignis wirklich so wichtig für den Verlauf der Geschichte? Oder haben schon damals die Propagandisten der Revolution das Volk nur geschickt manipuliert, seine Angst vor Dämonen und Geistern, vor Räubern und seine Wut, seinen aufgrund von Missernten ausgelösten Hunger schamlos ausgenutzt, damit es landesweit zu den Dreschflegeln und Mistgabeln greift und den Adel aus seinen Schlössern verjagt? Letztere Deutung gewinnt nicht nur in Frankreich immer mehr Anhänger.
Der Zweifel kann ein guter Ratgeber sein, um das, was von der Macht als gesetzte Wahrheit verbreitet wird, zu hinterfragen. Er kann aber auch das süße Gift sein, das in den Verschwörungswahnsinn treibt, der überall Zeichen der Lüge erkennt, die als Wahrheit verkauft wird. In diesem Sinne ist das Vorhaben des schwedischen TV-Senders dann doch ein Stück Aufklärung. Der Faktencheck hilft den Menschen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen.
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