Keine Frage der Identität

Für Roberto J. De Lapuente geht die aktuelle Debatte über Mesut Özil am Kernproblem des Fußballs in Deutschland vorbei

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.

Um über das fußballerische Moment zu sprechen, dafür hat es bei der Mannschaft des DFB dieses Jahr nicht gereicht. So rankt die aktuelle Nationalelf-Debatte um die Rahmenbedingungen. Wäre die Mannschaft bis ins Halbfinale vorgedrungen, spräche wahrscheinlich keiner mehr von jenen türkischstämmigen Deutschen, die den Präsidenten der Türkei in dessen Hotelzimmer trafen. So rasch wie das DFB-Team ausgeschieden war, blieb der Öffentlichkeit aber viel Zeit, die anfangs noch zögerlich geäußerte Kritik an Mesut Özil und Ilkay Gündoğan zu vertiefen. Dass die Debatte sich inhaltlich jedoch nur um Identität strickt, das ist wie ein vergebener Elfmeter.

Denn statt zu fragen, wie ein eigentlich deutscher Mensch einen türkischen Präsidenten besuchen kann, könnte man das alles ja generalisieren und überlegen: Warum muss das eigentlich sein, dass Politik und Sport solch eine Nähe aufbauen? Natürlich hat Özil mit Recep Tayyip Erdoğan kokettiert – oder Erdoğan mit Özil. Doch vor vier Jahren gab es ähnliche Bilder - damals posierten Özil und seine Sportfreunde mit Angela Merkel für die Kameras. Politiker sind ohnehin dauernd am Rande des Spielbetriebes zu finden. Wladimir Putin, Emmanuel Macron und Kolinda Grabar-Kitarovic erst neulich mit und ohne Regenschirm. Und der journalistische Betrieb hält drauf, zeigt jubelnde Ministerpräsidenten und Shakehands von Staatsoberhäuptern. Der Unterschied ist nur, dass wir das als Normalität hinnehmen.

Deutsche Sportfans sind ja Traditionalisten. Sie feuern Traditionsvereine an, verfolgen Traditionsturniere und mögen die großen wie kleinen Traditionen, die am Rande des Spielgeschehens gepflegt werden. Der Fußball war nie frei von politischer Beeinflussung – und zwar überall auf der Welt. Verbände sind ein Politikum. Auch und besonders der DFB war immer eine staatstragende Organisation, die ihr Image mit politischer Kungelei polierte. Ohne jetzt die Geschichte dieses Verbandes ausbreiten zu wollen: Der DFB begriff Fußball stets als Politik mit kickenden Mitteln. Kritischen Abstand zu Machthabern zu halten, das war nie sein Konzept.

Zum Traditionsgefühl gehört es ebenso, dass man diejenigen als normal erachtet, die über die Nähe zwischen Politik und Sport berichten und letztlich sogar Bilder dazu liefern: Journalisten. Mit ihnen kulminieren alle drei Entitäten zu einer konturlosen, in sich wabernden Masse. Zwischen Sport, Politik und Journalismus entstehen Übergangszonen, in denen der kritische Abstand überwuchert wird vom Rasen harmonischer Außen- und Selbstdarstellung. Alle profitieren vom jeweils anderen. Politiker buhlen um Kicker, die Millionen Fans hinter sich haben; Fußballfunktionäre sorgen dafür, dass Journalisten so berichten, dass die Anhängerschaft möglichst wenig durch kritisches Feedback abfällig wird; und die Abbildung allseitiger Harmonie durch den Sportjournalismus sorgt dafür, dass Reporter bei Pressekonferenzen bevorzugt behandelt werden, weil sie sich als zuverlässige Zeitgenossen empfohlen haben.

Es gab wahrlich so viel Potenzial, die Diskussion um Özil und Kollegen und ihrer Stippvisite beim türkischen Präsidenten in einen allgemeingültigeren Kontext zu hieven. Man hätte von Abhängigkeiten und Verquickungen, von Querverbindungen und Vermischung verschiedener Interessenssphären sprechen können. Darüber, wie diese Zusammenlegung zu einem unkritischen Komplex verschmilzt, zu einem einheitlichen Block, in dem sich Sportler, Politiker und Journalisten gegenseitig aufwerten und stützen. Muss eigentlich die Kanzlerin in die Kabine? Ist es wirklich völlig untadelig, von diesen Besuchen in den Katakomben unkritische Bilder vorgesetzt zu bekommen?

Eine Debatte über diese gezielte Harmonisierung wäre dringend notwendig gewesen. Und was haben wir bekommen? Wütende Tiraden über einen deutschen Kicker, dem man offenbar nicht richtig sein Türkentum ausgetrieben hat. Wenn in zwei Jahren die politische Richtlinienkompetenz wieder Fußballerhände schüttelt, gilt es sicher weiter als gute alte Tradition. Traditionell unkritisch und unhinterfragt. Wegen des Zusammenhalts und so.

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