»Das Militär ist und bleibt ein unberechenbarer Faktor«
Politikwissenschaftlerin Melanie Müller über die Lage in Simbabwe rund um die Wahlen
Wie ist die Stimmung im Land?
Nicht mehr ganz so euphorisch wie unmittelbar nach dem Putsch im November vergangenen Jahres, aber immer noch verhalten optimistisch. Das zuvor omnipräsente Militär hat sich zumindest in den größeren Städten sichtbar zurückgezogen. Die Menschen trauen sich jetzt eher, ihre Meinung und auch Kritik zu äußern. Aber auf dem Land haben nach wie vor viele Menschen Angst vor dem Sicherheitsapparat.
Wird die Wahl fair und friedlich verlaufen?
Das hoffen die meisten Simbabwer. Die Tatsache, dass internationale Wahlbeobachter zugelassen sind, ist ein wichtiger Schritt. Die Regierung weiß, dass sie nur dann mit internationaler Unterstützung beim Wiederaufbau rechnen kann, wenn die Wahlen friedlich verlaufen werden. Dass der seit dem Sturz Robert Mugabes amtierende Präsident Emmerson Mnangagwa nach einer Bombenexplosion bei seiner Wahlkampfveranstaltung im Juni nicht zu repressiveren Maßnahmen griff, ist ein gutes Zeichen. In der Hauptstadt Harare wurde unlängst eine große Demonstration der Opposition zugelassen. Das wäre unter Mugabe so unvorstellbar gewesen. Allerdings verfügt die regierende ZANU-PF-Partei über viel größere Ressourcen und Einfluss auf die staatlichen Medien. Das Militär hatte während der vergangenen Wahlen Druck auf die Bevölkerung im ländlichen Raum ausgeübt, für die ZANU-PF zu stimmen. Das ist auch dieses Mal nicht ausgeschlossen. Die Wahlbeobachter müssen dies im Blick behalten.
Wird Mnangagwa die Wahlen deshalb gewinnen?
Es gibt keine verlässlichen Prognosen. Aber in der ZANU-PF gibt es etliche langjährige Unterstützer Mugabes, denen der Prozess einer politischen und ökonomischen Öffnung zu schnell geht. Letztlich wird die Jugend die Wahl entscheiden. Rund zwei Drittel der Bevölkerung ist jünger als 45 Jahre und lebt in prekären Verhältnissen. Sie werden demjenigen ihre Stimme geben, dem sie am ehesten zutrauen, ihre Lage zu verbessern. Oppositionsführer Nelson Chamisa hat den Vorteil, dass er selbst erst 40 Jahre alt ist. Der 75-jährige Mnangagwa hingegen hat vor allem auf dem Land einen höheren Bekanntheitsgrad.
Das Militär unterstützte Mnangagwa beim Sturz Mugabes. Wird die Armee sich wieder in die Politik einmischen?
Der Sprecher der Armee hat angekündigt, jedes Wahlergebnis zu akzeptieren. Aber das Militär ist und bleibt ein unberechenbarer Faktor, auch weil es kein einheitlicher Block ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einer militärischen Intervention kommen könnte, sollte Chamisa gewinnen.
Emmerson Mnangagwa war unter Robert Mugabe Vizepräsident. Er ist für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und ethnische Säuberungen unter Mugabe mitverantwortlich. Er wird wegen seiner Brutalität auch »Das Krokodil« genannt. Ist dieser Mann jetzt plötzlich ein lupenreiner Demokrat?
Mnangagwa ist vor allem Pragmatiker. Er weiß, dass er die dringend notwendige internationale ökonomische Unterstützung nicht bekommen würde, wenn er so autokratisch wie sein Vorgänger weiterregieren würde. Darum hat er Reformen angestoßen. Sollte er Präsident bleiben, wird jedoch auch er langfristig nicht an einer Aufarbeitung der Geschichte vorbeikommen. Das Land hat nur eine Zukunft, wenn es sich seiner Vergangenheit stellt. Aber zunächst stehen die drängenden ökonomischen Schwierigkeiten an erster Stelle.
Was sind die größten Probleme?
Der Wahlsieger muss die extreme hohe Arbeitslosigkeit und die grassierende Korruption bekämpfen, die marode Gesundheitsversorgung verbessern, den Kampf gegen HIV/Aids intensivieren und die schwere Währungs- und Bargeldkrise angehen. Derzeit gibt es kaum Bargeld. Auch deshalb ist die Wirtschaft am Boden. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung hat keine feste Anstellung oder kann nicht von ihrer Arbeit leben. Die Unzufriedenheit mit den ökonomischen Verhältnissen ist riesig.
Wie sollten Deutschland und die EU sich jetzt gegenüber Simbabwe verhalten?
Die internationale Gemeinschaft sollte Simbabwe kritisch beim Transformationsprozess begleiten. Das heißt: wirtschaftliche Kooperation, Entwicklungszusammenarbeit und ein möglicher Schuldenerlass sollten an Bedingungen wie die Gewährung von demokratischen Rechten sowie ein Zurückdrängen des Militärs in öffentlichen Institutionen geknüpft werden. Die Wahlen am 30. Juli sind nur der erste Schritt.
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