Noch ein Sommer ohne Regeln
Nach den Ferien startet Bürgerdialog zur legalen Zukunft der Thaiwiese
Es riecht nach frisch gegrilltem Fleisch und Curry. Am Wochenende ist im Preußenpark in Wilmersdorf Thaiwiesenzeit. An fast 100 kleinen Ständen wird Essen gebrutzelt. Auf mitgebrachten Campingkochern wärmen Thailänder*innen Gerichte auf, die sie zuvor zu Hause zubereitet haben. Es gibt gefüllte Teigtaschen, Reis mit geschnetzeltem Gemüse und Fleisch sowie Papayasalat. Letzteren mixt eine alte Dame, die im Schneidersitz auf einer Bastmatte sitzt und Handschuhe trägt. Papaya, Möhren und Gurken liegen bereits fein geraspelt neben ihr. Dann steckt sie Erdnüsse, Knoblauch, Zitrone und Chili in den Mörser. Zum Schluss wird der scharf-fruchtige Salat mit frischen Kräutern über den Campingtisch gereicht. Eine Portion kostet fünf Euro.
Katrin und Holger tragen fünf Salate auf ihre mitgebrachte Decke und verteilen sie an die Familie. Sie sind Touristen aus Weimar und wollen ihre Nachnamen nicht preisgeben. Die Thaiwiese, wie sie den Preußenpark nennen und wie er auch in Touristenführern heißt, gehört für sie zu dem, was man als Berlin-Besucher erleben muss. »Authentisches Straßenessen aus Fernost gibt es in Weimar nicht. Das kann ich in Deutschland nur hier erleben«, sagt Holger. Und bei der Hitze käme bei ihm tatsächlich das Gefühl auf, in Malaysia zu sein. Dort war die Familie vor drei Jahren im Urlaub.
Legal ist der Verkauf von Imbissgerichten im Preußenpark nicht. Die Verkäufer zahlen keine Steuern und die Lebensmittelaufsicht schaut auch nicht nach dem Rechten. Nach Recht und Gesetz wäre sogar der Verkauf von Gerichten auf einer Grünfläche verboten. Fließendes Wasser wäre vorgeschrieben, eine geflieste Küche und ausreichend Toiletten für Besucher. Und eigentlich hat die heutige Touristenattraktion auch einmal ganz klein angefangen.
In den 1990er Jahren trafen sich hier Berliner Thailänder*innen an schönen Wochenendtagen und brachte ihre heimatlichen Gerichte zum eigenen Verzehr mit. Deutsche Parkbesucher fragten, ob sie etwas kaufen dürften. Rund 5000 Thais wohnen in Berlin. Die Community ist sehr weiblich, gut 4000 von ihnen sind Frauen. Es überwiegen die Jahrgänge über 45 Jahren.
Heute stellen die Thailänder*innen nur noch etwas mehr als die Hälfte der Verkäufer*innen. Neben ihnen mixen Brasilianer*innen hochprozentige Cocktails, Vietnames*innen bieten frisches Obst, Gemüse und Kräuter an. Bei Philippinas und Philippinos gibt es Pfannengerichte und bei Japaner*innen und Koreaner*innen Teigtaschen.
Aufmerksamkeit erregt eine Kambodschanerin. Sie hat frittierte Ameisen, Grillen und Mehlwürmer im Angebot. Als sie merkt, dass die Autorin dieses Artikels die Insektennamen notiert, lässt sie die Schilder verschwinden. Sie weiß, dass das verboten ist. Andere Asiaten, die ihre Nationalität nicht verraten, haben sich auf einer Decke zum illegalen Glücksspiel getroffen. Die Fünfzig-Euro-Scheine wechseln ganz offen den Besitzer.
Für viele Wilmersdorfer Anwohner*innen ist die Thaiwiese ein Ärgernis. Es ist laut, auch spät am Abend. Aus der einstigen Wiese ist eine Sandwüste geworden, was nicht nur an der Trockenheit liegt sondern auch an der Übernutzung des Areals. Besucher*innen parken zwischen ihren Häusern und verrichten dort ihre Notdurft. Der Müll zieht Ratten an. Eine Anwohner*inneninitiative hat darum vom Bezirk eine Änderung der Situation verlangt. »Warum lassen Sie den Park nicht räumen? Sie haben jede rechtliche Handhabe dazu«, fragte eine junge Frau.
Im Mai tagten die Bezirksverordneten zum Thema. Die Stimmung in der Sitzung, in der das Konzept für den Park diskutiert wurde, war aufgeheizt. Die Anwohner*inneninitiative will den Preußenpark wieder für sich selbst haben. Das fernöstliche Treiben soll dorthin umziehen, wo niemand wohnt, forderten sie. Zum Beispiel in den Treptower Park.
Doch die Bezirksverordneten haben sich parteiübergreifend nicht darauf eingelassen, obwohl jede Partei damit bei den Anwohnern hätte punkten können. Stattdessen sieht ein überparteilicher Konsens vor, den in Deutschland einmaligen Streetfood-Handel mit fernöstlichem Flair zu erhalten. Die Händler sollen allerdings ein Gewerbe anmelden, Steuern zahlen und in etwa 30 feste Stände an den Parkrand ziehen.
Nach den Sommerferien soll dazu ein Bürgerdialog starten, in den Anwohner*innen und thailändische Berliner*innen gleichermaßen einbezogen werden sollen. Letztere zu erreichen ist allerdings schwierig, denn sie sind ethnisch und politisch sehr zerstritten. Eine Vertreterin, die nicht genannt werden will, bezweifelt zudem, dass viele Verkäufer mit einer Gewerbeanmeldung klarkämen. »Das sind meist Hausfrauen und Rentnerinnen, die sich im Sommer etwas dazu verdienen. Die meisten verkaufen nicht einmal jedes Wochenende. Wenn sie das ganze Jahr über einen Stand mieten sollen, rechnet sich das nicht.« Es wäre schade, wenn diese Institution verloren ginge, sagt die Frau. »Für uns Thailänder, die keine Verkäufer sind, ist das ein wichtiger Treffpunkt. Und für Deutsche, die fernöstliches Flair lieben, auch.«
Bis zum Ende des Bürgerdialogs will der Bezirk den Handel auf der Thaiwiese dulden, weil, so Ordnungsstadtrat Arne Herz (CDU) »wir in dieser Phase keine Fakten schaffen wollen«. Es könnte also der letzte Sommer der regellosen Thaiwiese sein.
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