Ermittlungsphantom
Staatsanwaltschaft: Kein Steuerverfahren gegen Martin Winterkorn
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist sauer. Sie führe Ermittlungen gegen den ehemaligen Chef des VW-Konzerns Martin Winterkorn, hatte die »Bild am Sonntag« am Wochenende verbreitet - eine Nachricht, die in Windeseile durch die Medien rollte. Doch das stimme nicht, betonte Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe am Montag. Richtig sei: Man habe wegen steuerlicher Belange kein Verfahren gegen den Ex-Manager eingeleitet. Mit Fragen zum korrekten Handeln Winterkorns in punkto Steuer wird sich nun die Finanzbehörde befassen; ihr hat die Staatsanwaltschaft dazu Erkenntnisse übermittelt.
Diese dürften sich auf rund zehn Millionen Euro beziehen, die Winterkorn 2016 und 2017 von einem Privatkonto in die Schweiz transferieren ließ, heißt es, und zwar auf mehrere Depots. Eines davon soll der Ehefrau des ehemaligen Konzernbosses gehören. Deshalb hatte die Staatsanwaltschaft München seinerzeit gemutmaßt, eventuell könne ein Teil des Geldes als Schenkung betrachtet werden, für das Schenkungssteuer hätte gezahlt werden müssen.
Winterkorns Anwalt Felix Dörr hatte entgegengehalten, dass die Überweisung des Geldes zu den Eidgenossen rechtlich völlig korrekt gewesen sei. Fazit der Braunschweiger Staatsanwaltschaft aus dem Hin und Her: Kein Ermittlungsverfahren, die Finanzbehörde soll sich um die Sache kümmern.
Oberstaatsanwalt Ziehe hält es allerdings für legitim, dass Erkenntnisse zu Geldtransfer und Steuer Eingang in den Aktenbestand gefunden hat, der sich mit der Abgasaffäre befasst. Das mögliche Überweisen der Millionen könne relevant sein bei der Frage, wann Martin Winterkorn Kenntnis von den Manipulationen am Abgassystem erlangt hat und wie er sich mit Blick auf dies Geschehen verhalten habe. Ein Unding ist es laut Ziehe, dass offenbar Interna aus den Akten an Medien weitergeben wurden. In diesen zu lesen war unter anderem, es gebe einen Vermerk in den Akten, Martin Winterkorn habe Vermögenswerte in die Schweiz womöglich als »Notgroschen« verschoben.
Was für eine »Not« den mit geschätzten 93 000 Euro Betriebsrente monatlich versorgten Ex-Konzernlenker treffen könnte, ist kein Geheimnis. Zur Zeit laufen Klagen, die im Zusammenhang mit dem Abgasskandal erhoben wurden und den VW-Konzern sehr viel Geld kosten könnten. Das Unternehmen wiederum hätte die Möglichkeit, für diese Belastung hohen Schadensersatz von Winterkorn zu fordern, sofern er in der Abgassache seine Pflichten als Chef nicht hinreichend erfüllt haben sollte.
Winterkorns Anwalt weist die Notgroschen-Hypothese zurück. Habe doch die Abgasaffäre nichts mit den privaten Vermögensverhältnissen seines Mandanten zu tun. Diese seien nun zum Teil den Anwälten weiterer Beschuldigter im Dieselskandal bekannt geworden, weil die Staatsanwaltschaft die Akten zur Causa Abgas um jene zu den steuerlichen Ermittlungen ergänzt habe. Wegen dieses Vorgehens erwägen Winterkorn und sein Anwalt nun, gegen die Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Verdachts auf Verrat von Dienstgeheimnissen zu stellen.
Wenn es auch keine Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung gegen Winterkorn gibt, so hat ihn die Justiz dennoch weiter im Visier. Im Herbst 2015 hatte die Staatsanwaltschaft Braunschweig in Verbindung mit dem Abgasaffäre Ermittlungen wegen Verdachts des Betruges gegen ihn aufgenommen. Und im Mai 2018 hatte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer Strafanzeige gegen den Ex-Manager gestellt, weil der den Untersuchungsausschuss zum Abgasskandal belogen habe.
Winterkorn hatte vor dem Gremium erklärt, nicht vor September 2015 von den illegalen Abschalteinrichtungen im Abgassystem gewusst zu haben. Ermittlungen in den USA besagen jedoch, der ehemalige VW-Boss sei schon früher über die Manipulationen informiert gewesen. Die USA hatte Anfang Mai im Zusammenhang mit »Dieselgate« gegen Winterkorn Haftbefehl erlassen. Sofern sich der Pensionär in die Staaten begibt, muss er mit seiner Festnahme rechnen.
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