Gefahrenmeldungen ins Nirwana
Radlobby: Verwaltung antwort oft nicht auf angezeigte Gefährdungen an Baustellen
»Während aller Baumaßnahmen mit Auswirkungen auf das öffentliche Straßenland soll eine sichere Radverkehrsführung sichergestellt werden«, heißt es im seit knapp zwei Wochen gültigen Mobilitätsgesetz. Derzeit ist das noch ein frommer Wunsch.
Die Senatsverkehrsverwaltung setzt auf das Engagement der Bürger. Im Juni vergangenen Jahres startete sie das Pilotprojekt »Sicher Radfahren an Baustellen«. Einfach eine E-Mail mit Lage und Foto der gefährdenden Baustelleneinrichtung schicken und Mängel würden zeitnah von der Verkehrslenkung Berlin (VLB) korrigiert, so das Versprechen. Das sei nötig, weil die Bauarbeiten »kaum überwacht« würden, heißt es beim aus dem Radentscheid hervorgegangenen Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg. Die Verkehrsverwaltung widerspricht. »Das Gegenteil ist der Fall. Baustellen-Einrichtungen werden seit 2017 verstärkt überwacht, nachdem eine Personalaufstockung beim zuständigen Referat der VLB erfolgte«, erklärt deren Sprecherin Dorothee Winden auf nd-Anfrage.
Die Aktivisten ziehen eine bittere Bilanz. Zwischen Juni 2017 und Juli 2018 hätten sie 100 mangelhafte Baustellen bei der E-Mail-Adresse angezeigt. Knapp ein Drittel aller Anfragen seien überhaupt nicht beantwortet worden. Bei fast der Hälfte der Meldungen teilte die VLB mit, dass nicht sie sondern der jeweilige Bezirk zuständig sei und die Anzeige entsprechend weitergeleitet worden sei.
Die Bezirke hätten jedoch oft nicht reagiert. Pankow hatte demnach keine einzige von vier Anfragen beantwortet, in Friedrichshain-Kreuzberg seien von 14 Meldungen ganze zwei beantwortet worden, in Tempelhof-Schöneberg habe es drei Antworten gegeben, 15 mal reagierte der Bezirk nicht. Immerhin Reinickendorf, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf hätten alle der insgesamt fünf Fälle beantwortet.
Nur 21 Prozent der E-Mails wurden im Sinne der Antragsteller positiv beantwortet mit der Meldung, dass der Mangel behoben sei oder in Kürze abgestellt werde. Bei weiteren fünf Fällen sah die VLB keinen Grund, einzuschreiten.
»Die VLB geht jedem Hinweis nach und schickt grundsätzlich jede(r) Petent*in eine Antwort«, entgegnet die Verkehrsverwaltung. Mitunter dauere eine Prüfung länger, insbesondere in komplexen Fällen, wenn Ampeln betroffen seien, die einiger Abstimmungen bedürfen. »In den Fällen, in denen die VLB zuständig ist und zum Teil angeblich keine Antwort gegeben haben soll, ist die VLB gerne bereit, dies zu überprüfen«, erklärt Winden.
Mit der von der Verkehrslenkung eingerichteten E-Mail-Adresse würden nun schon die Bürgerinnen und Bürger eingespannt, deren Überwachungsfunktion zu übernehmen, empört sich Jens Steckel vom Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg. »Doch nicht mal das funktioniert.« Dabei sind viele Baustellen oft brandgefährlich für Radler. Radwege enden unvermittelt an einer Absperrung, eine alternative Führung gibt es nicht.
Die VLB macht eine andere Rechnung auf: Bei berlinweit rund 100 000 verkehrsrechtlichen Anordnungen pro Jahr habe es »vergleichsweise wenige Beschwerden« gegeben.
Wenn die Behörden nicht in der Lage sind, das Mobilitätsgesetz umzusetzen, und dazu gehöre auch die »Vision Zero«, also keine Verkehrstoten mehr, »dann haben wir ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem«, so Ragnhild Sørensen von Changing Cities, dem Trägerverein des Volksentscheids Fahrrad.
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