Kein Schiff wird kommen
Die extrem niedrigen Pegelstände der Oder sind rekordverdächtig - Nutzer und Anrainer sind besorgt
An der Oder werden die Sandbänke immer größer und die Gesichter immer länger. Schiffe können hier schon seit Juni nicht mehr fahren, wie Sebastian Dosch vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Eberswalde bestätigt. »Aufgrund der fehlenden Niederschläge in den tschechischen und polnischen Einzugsgebieten herrscht im Fluss extremes Niedrigwasser.«
Bei Pegelständen von aktuell 1,60 Meter an der Messstelle Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) oder 1,41 Meter in Frankfurt (Oder) könne man den Fluss beinahe durchwaten. Tendenz weiter fallend, so Dosch. Denn ein Ende der extremen Trockenheit sei derzeit nicht in Sicht. Mit Angaben zu Fahrrinnen- und Tauchtiefen kann seine Behörde derzeit nicht dienen.
»Wir haben uns mit der polnischen Seite darauf geeinigt, darauf zu verzichten, weil ja auch unsere Schiffe zum Messen dieser Werte Gefahr laufen würden, auf einer Sandbank aufzusitzen«, erläutert Dosch. Er sieht den Klimawandel als Ursache für die neuen Extremwerte. Diese liegen fast unter den Niedrigwasser-Rekorden des Sommers 2015, der bislang extremste an der Oder. »Es ist absehbar, dass wir in diesem Sommer einen neuen Negativ-Rekord aufstellen.«
Doch nicht nur die Güterschifffahrt ist auf der Oder zum Erliegen gekommen. Es könne seit Wochen auch kein Ausflugsdampfer mehr an- oder ablegen, sagt Mario Quast, oberster Wirtschaftsförderer in der Stadtverwaltung Frankfurt (Oder). »Das hat natürlich großen, negativen Einfluss auf unseren Tourismus. Für viele Gäste, die in die Stadt kommen, gehört eine Fahrt auf der Oder dazu.« Der Fluss ist einer der wenigen in Europa, der noch weitgehend naturbelassen in seinem Bett fließt. Es gibt keine Wehre oder andere Regulierungsmöglichkeiten.
Das Wasser möglichst in der Flussmitte zu konzentrieren, dafür sorgen lediglich Buhnen an den Ufern, dammartige Bauwerke, senkrecht zum Ufer aufgeschüttet. »Die extreme aktuelle Situation verdeutlicht uns, dass wir mit der Instandsetzung voran kommen müssen, um die Fahrrinne zu stabilisieren und höhere Wasserstände zu erreichen«, sagt WSA-Sprecher Dosch. Ein deutsch-polnisches Stromregulierungskonzept liegt seinen Angaben zufolge seit Jahren vor, einen entsprechenden binationalen Vertrag gibt es seit 2015. Doch die Umsetzung dauere, erst im Oktober seien neuerliche Abstimmungen anberaumt, so Dosch.
Auf Flora und Fauna in der Oder und an ihren Ufern habe das extreme Niedrigwasser absehbar noch keine Auswirkungen. Ein Fischsterben sei nicht zu erwarten, sagt Dosch. Mit einer Länge von insgesamt 866 Kilometern biete der Fluss genügend Plätze, an die sich die Tiere zurückziehen könnten. Um diese aufgrund hoher Wassertemperaturen und geringer Strömungsgeschwindigkeit nicht zusätzlich zu stressen, hätten die Oderfischer bereits vor geraumer Zeit ihre Arbeit eingestellt, erklärt Fischer André Schneider aus Küstrin-Kietz (Märkisch-Oderland). Dosch ist überzeugt, dass sich sowohl die Vegeta᠆tion als auch die Artenvielfalt über einen längeren Zeitraum hinweg an und in der Oder verändern. »Flora und Fauna werden sich anpassen.«
Zu befürchten sei nunmehr aber, dass das Wasser auch in den Seitenarmen des bislang noch gut gefüllten Oder-Havel-Kanals knapp werden könnte, sagt er. Vor allem Landwirte ziehen dort derzeit viel Wasser, um Felder zu beregnen, sagt der Sprecher. Der Oder-Havel-Kanal sei die Hauptverkehrsader der Güterschifffahrt zwischen Berlin und Szczecin in Polen. »Um die zu gewährleisten, müssen wir mehr Wasser aus den Seitenarmen dieser Wasserstraße nehmen«, erläutert der Behördensprecher. Eine mögliche Konsequenz davon sei, dass beispielsweise die 40 WSA-Schleusen in diesem Bereich nicht jederzeit betriebsbereit sein könnten. dpa/nd
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