Tod in Weiß
Viktor Ullmanns »Der Kaiser von Atlantis« im Konzerthaus
Auf dem Globus ist verkehrte Welt. Der Kaiser, seines Zeichens Herrscher über jeden und alles, will der »Naturkraft« des Krieges höchste Würden verleihen und sucht das Menschenvolk so sehr gegeneinanderzuhetzen, dass es ganz von diesem Globus verschwindet. Welch hohe Weihe. Selbst dem Tod, Figur in der Oper und Schlimmstes gewöhnt, dünkt das anmaßend. Wider den Kaiser beschließt er, den Lebenden den Tod zu verweigern. Ähnlich erzählen das Alfred Polgars »Kriegesperspektiven«, sie formulieren den Vernichtungsfeldzug als Erlösungswerk. Die sterbende Truppe macht dem Hauptmann alle Ehre, die Auslöschung des Planeten ist der Humus, dem Sonnenystem zur Blüte zu verhelfen. Friedrich Schenker hat diesen Text übrigens in seiner »Missa nigra« von 1979 komponiert. Es wäre des Versuchs wert, Viktor Ullmanns »Kaiser von Atlantis« und diese »Missa nigra« einmal nebeneinander aufzuführen. Das wäre allein schon deshalb interessant, weil das Schenker-Theater das Gewaltpoblem gestalterisch aufs Wahnwitzigste zuspitzt, während Ullmanns Werk noch dort, wo symbolisch alles in die Luft zu gehen droht, der Poesie freien Lauf lässt. Die Geschichte des »Kaisers« ist nach Brechtscher Manier episch erzählt. Im Prolog wird sie vom Sprecher/Lautsprecher (Vivian Lüdorf, Ingo Witzke) vorskandiert. Vier montageartige Bilder laufen ab. Die meisten Rollen sind virtuell angelegt, abstrakt, der Kaiser, der Tod, der Harlekin, der Trommler, der Sprecher artikulieren poetische Sentenzen. Sie sprechen, singen, einzeln, chorisch. Nie schreien sie, bellen wie räudige Hunde, grölen wie das Mörderpack, das mit dem Kaiser gemeint ist. Kaum eine Klage, die Schauer über den Nacken huschen ließe. Diesem kleinen poetisch-philosophischen »Welttheater« fehlt, was Karl Kraus' Drama »Die letzten Tage der Menschheit« hat, der blutige Irrwitz. Dort liegt die Schwäche der gleichwohl farbigen Partitur. Allenfalls zwei Figuren sind wirklice lebendige Menschen: der Soldat und die Soldatin (Markus Vollberg und Lisa Laccisaglia). Wie die übrigen sind sie gehetzt in dieses Gemetzel jeder gegen jeden, aber in einem Moment des Eingedenkens finden sie zusammen in Liebe und leiser Zuversicht. Brechts Verse könnten über dem Werk stehen: »Viel muß bersten/ und viel muß untergehen./ Viel muß geschehen/ und viel darf nicht geschehn.« Die 1975 in Amsterdam unter Rhoda Levine uraufgeführte Kammeroper kam nun im Konzerthaus in der Regie Cornelia Hegers ein weiteres Mal zur Premiere. Sorgfältig hat Konzerthaus-Dramaturg Jens Schubbe die Materialien zur Oper studiert und mit der Regisseurin ein Fassung erabeitet, die wohl zu den geschlossensten gehören dürfte, die bislang auf die Bühne kamen. In Folgeaufführungen der kommenden Saison wolle sich das Opernkollektiv dem Konvolut der verschiedenen Werkgestalten weiter nähern. Jens Schuppe schrieb - das ist heute alles andere selbstverständlich - eine hervorragende Werkeinführung. Viktor Ullmann schuf die Oper (und zahlreiche andere Arbeiten) unter schwierigsten Umständen im KZ Theresienstadt, unter dem Firmenschild »Freizeitgestaltung«, jener demagoischen Formel der Nazis, die die Weltöffentlichkeit über die wahren Verbrechen hinwegbetrügen sollte. Die stark an Brecht/Weills epische Schreibweise erinnernde Oper - sie zitiert des Öfteren Weillsche Gestaltungsmodi - demonstriert die Umkehrung der Vorzeichen von Leben und Tod höchst eigenwillig. Der Kaiser ist auf der Bühne schneeweiß gekleidet und stets gleißend angestrahlt, so hell wie das Schlachtfeld, das sie zeigt, das eigentlich keines ist. Denn es ist reiner Livestyle, der uns umgibt, in der Realität, der Kunst, in den Köpfen. Statt Menschen Stangen mit Händen, in die Luft gereckt. Ein Lautsprecher, mit tausend Drähten und einigen Boxen, so installiert, als stamme er von Performern wie Nam Yune Paik. Der Narr, der das Leben verkörpert, bleibt die Oper hindurch am Rand, oft steif und starr, profillos. Der Tod (Gary Jankowski), er schaut aus wie ein mächtiger Bojar mit Brummbasstimme, Widerpart des Kaiser (Roman Grübner), ist die Figur, die immerfort steht und steht. Seine mahnende Arie, an den Kaiser gerichtet, ist so wunderbar arios wie die Abschiedsarie des Kaisers und der Schlusschoral. Dort wohnt viel Poesie. Aber die ist gar nicht so sehr am Platze. Insgesamt eine hochartifizielle Aufführung, mit zum Teil hervorragend besetzten Soloparts und einem sehr engagierten Begleitorchester aus Studierenden der Musikho...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.