Antiziganismus an der Spitze der Hassliste

Roma-Elternverein beklagt Benachteiligung / Zentralrat fordert Paragrafen im Antidiskriminierungsgesetz

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Fast 70 Prozent aller Deutschen hegen Ressentiments gegen die Minderheit der Sinti und Roma in diesem Land - und dies, obwohl viele Sinti seit über 600 Jahren hier leben. Dass die Vorurteile bestehen bleiben, liegt nach Ansicht des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma vor allem an der schlechten Medienberichterstattung.
»Kinder von Roma-Migranten sind in deutschen Schulen mehrfach Diskriminierungen ausgesetzt«, bemängelt Isidora Randjelovic. Die Vize-Vorsitzende des Roma-Elternvereins »Bashe Roma e.V.« lud deshalb kürzlich gemeinsam mit dem Antidiskriminierungsnetzwerk ins Berliner Abgeordnetenhaus, um mit der Konferenz »Sinti und Roma - Bürger dieses Landes« auf diesen Missstand aufmerksam zu machen. So sei Berlin für viele Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien und südosteuropäischen Herkunftsländern, die als Arbeitsmigranten in den 60er Jahren kamen oder als Flüchtlinge in den 90ern, die Hauptstadt inzwischen Lebensmittelpunkt. Dennoch erleben viele weiterhin Ausgrenzungen in den Schlüsselbereichen der Gesellschaft: Arbeit, Bildung, Wohnung und Gesundheit. Besonders in den Schulen sind die »Bildungschancen für die Roma-Kinder sehr gering«, fasst Randjelovic das Ergebnis ihrer Forschungen zusammen. Forciert würden diese Zustände insbesondere durch den oftmals ungeklärten Aufenthaltsstatus, Kinderarmut, die individuelle Migrations- und Fluchtgeschichte, aber auch die mangelnde Selbstorganisation von Roma-Eltern. Verschärft wird die Chancenungleichheit jedoch auch durch die mangelnden interkulturellen Öffnungen der Schulen und das dreigliedrige Schulsystem. Beispielsweise gäbe es immer noch kaum Pädagogen, die selbst einen migrantischen Hintergrund hätten. Zudem komme in den Rahmenlehrplänen die Lebenswelt von Migranten gar nicht erst vor. In der Hauptsache behindern aber Stigmatisierungen und Diskriminierungen durch die Mitschüler die Roma-Kinder in ihrer Entwicklung. Genau in diesem ausschließenden Verhalten der Mehrheitsgesellschaft sieht auch Professor Wolfgang Wippermann eines der gegenwärtigen Hauptprobleme. Der Historiker hat sich als einer der wenigen seiner Zunft seit Jahrzehnten mit dem Thema »Antiziganismus«, also der Feindschaft gegenüber Sinti und Roma, in Deutschland wissenschaftlich beschäftigt. »Antiziganismus«, sagt Wippermann, »ist in allen Schichten und jeglichem Alter vorzufinden«. Zwei Drittel der Deutschen sind nach Umfragen antiziganistisch eingestellt. Damit liegen die Vorurteile und Ressentiments gegen Sinti und Roma an der Spitze der Hassliste in diesem Land. Während der »Rassen-Antiziganismus«, den es seit dem Mittelalter in Deutschland gab, und der in der Zeit der nationalsozialistischen Verbrechensherrschaft im »Vernichtungs-Antiziganismus« gipfelte, heutzutage kaum noch eine Rolle spielt, erlebt der religiös motivierte Antiziganismus derzeit eine Renaissance, sagt Wippermann. Beispielsweise hätten in den 90ern Kaufleute in Norddeutschland Besen verkehrt in ihre Schaufenster gehängt, um Sinti und Roma vom Betreten des Geschäfts abzuhalten. Dahinter steckt das alte Vorurteil, Sinti und Roma seien mit dem Teufel verbunden, wofür der Besen als Symbol stünde. Als schwerstwiegende Befeuerung der Ressentiments sieht der Historiker jedoch den so genannten sozial geprägten Antiziganismus: »Den können sie tagtäglich in den Zeitungen finden«, erklärt Wolfgang Wippermann. Die alltägliche Negativberichterstattung hat auch der Zentralrat der deutschen Sinti und Roma als eine der gegenwärtigen Hauptursachen für den grassierenden Rassismus gegenüber Sinti und Roma identifiziert. »Wir haben über 550 Zeitungsmeldungen im Zeitraum von 1995 bis 2006 ausgewertet«, erzählt Fritz Greußing, ein Sprecher des Zentralrats gegenüber dem ND. In 508 Fällen davon sei in unzulässiger Weise vor allem in Polizeimeldungen eine Kennzeichnung der Minderheit vorgenommen worden. »Wir fordern deshalb ein gesetzliches Diskriminierungsverbot, das es den Behörden verbietet, solche ethnischen Zuschreibungen zu erfassen.« Derzeit stehe der Zentralrat mit der Innenministerkonferenz in Verhandlung, so Greußing, um das Verbot in einem eigenen Paragraphen des kommenden Antidiskriminierungsgesetzes festzulegen. Denn die Zuschreibung einer ethnischen Herkunft beispielsweise in Zusammenhang mit Kriminalitätsstatistiken sei bereits während des Nationalsozialismus eines der wesentlichen Elemente der nationalsozialistischen Rassenpropaganda gewesen.
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