Gesetz soll Schrift retten
Kyrillisch in Serbien
Westliche Musik und Kultur, die sozialen Medien, Spielkonsolen und US-amerikanische Filme: Die Jugend in Serbien, wichtigstes Land auf der Balkanhalbinsel, hat der kyrillischen Schrift den Rücken gekehrt. »Kyrillisch zwischen heiliger und weltlicher Schrift«, beschreibt die renommierte Regierungszeitung »Politika« die Lage. Und die Jungen geben der weltlichen Variante klar den Vorzug.
Die Regierung sieht bereits den »Untergang der Nation«, wenn das Kyrillische am Ende ganz in Vergessenheit gerät. Und daher hat sie ein neues Sprachgesetz auf den Weg gebracht, das es in sich hat. Alle Behörden, Universitäten und Schulen dürfen nur noch das seit dem 10. Jahrhundert in Bulgarien entwickelte Schriftsystem nutzen, das auf die Mönche Kyrill und Method zurückgeht. Lateinische Lettern sind tabu.
Doch es geht noch weiter. Produktbezeichnungen, Bedienungsanleitungen oder Garantiescheine müssen ebenfalls kyrillisch geschrieben sein. Wer dagegen verstößt, muss bis zu einer Million Dinare (8450 Euro) Strafe zahlen. Beim Blick auf den Durchschnittsverdienst im Balkanland von umgerechnet 450 Euro im Monat ist das ein hübsches Sümmchen.
Mit dem neuen Gesetz soll sich auch das Erscheinungsbild in serbischen Städten von Grund auf ändern. Das Kultus- und Bildungsministerium als die Initiatoren der neuen Vorschriften haben sich vor allem daran gestört, dass die Geschäftsnamen und deren Werbung in den Einkaufsstraßen des Landes meist lateinisch geschrieben sind.
Bisher waren laut Verfassung kyrillische und lateinische Schrift gleichberechtigt. Jeder Bürger durfte wählen. Jetzt wird das Kyrillische verpflichtend. Nur wenn es unbedingt sein muss, zum Beispiel damit Touristen auch etwas lesen können, dürfen unter den großen kyrillischen Buchstaben auch lateinische im Kleinformat stehen. Latein als »Hilfsschrift« heißt das.
Regierungskritische Intellektuelle sind empört. Sie sehen bei diesem Vorhaben den Nationalismus am Werk. Die propagierte »nationale Wissenschaft« sei Humbug. »Was für eine armselige Nation, deren Identität von der Reklameschrift abhängt«, meint der Literaturwissenschaftler Dejan Ilic. Die logische Folge des neuen Gesetzes wäre ein Verbot ausländischer Sprachen im öffentlichen Raum und eine »Sprachpolizei«, kritisieren ähnlich Denkende.
Die neuen Sprachvorschriften beziehen sich nicht nur auf Serbien selbst, sondern auch auf die Landsleute im benachbarten Bosnien und Montenegro. Außer in Serbien wird vor allem in Russland, der Ukraine und Weißrussland kyrillisch geschrieben. In Südosteuropa ist dieses Alphabet auch in Bulgarien und Mazedonien zu finden. Es wurde im Mittelalter aus dem Griechischen entwickelt. Die moderne serbische Variante stammt vom Philologen Vuk Karadžić vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Der hatte die Sprache im gesamten südslawischen Raum modernisiert. dpa/nd
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