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»Wenn wir auf Krawall regieren, schadet das«
Linksfraktionschef Udo Wolf über Seilschaften, Endzeitstimmung und das Koalieren auf Augenhöhe bei »R2G«
Martin Kröger: Ihre Leidenschaft ist das hochalpine Klettern. Dem Sport zu frönen, dazu hatten Sie gerade im Urlaub Gelegenheit. In welcher Seilschaft fühlen Sie sich sicherer - unter Extremsportler*innen oder in der Koalition mit SPD und Grünen?
Udo Wolf: Eindeutig mit den Extremsportler*innen (lacht).
Udo Wolf ist Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Abgeordnetenhaus. Der Politiker leitet die Geschicke der sozialistischen Fraktion seit 2009, seit der vergangenen Abgeordnetenhauswahl in Kooperation mit Carola Bluhm.
Wirklich?
Ja. Weil die wissen, wie Sicherungs- und Seiltechnik funktioniert. Bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Abgeordnetenhaus ist darüber eher Laienwissen vorhanden. Und beim Klettern verlasse ich mich lieber auf Leute, die das können.
Habe ich das richtig verstanden, dass Sie das auch auf die politische Ebene übertragen, also mit Laienwissen bei SPD und Grünen zu tun haben?
Das haben Sie falsch verstanden. Das Gute beim Bergsport ist, dass man eben auch das Nervenkostüm sehr gut trainiert. Das hilft bei der politischen Arbeit durchaus, weil man bei mancher politischer Kontroverse deutlich ruhiger reagieren kann.
Sie kommen ja gerade aus dem Koalitionsausschuss ...
... Woher wissen Sie das?
Das habe ich dem Ticker entnommen, in einigen Medien ist ja bereits von einer Endzeitstimmung bei Rot-Rot-Grün (»R2G«) die Rede. Wie fertig ist das Mitte-links-Bündnis?
Unsere Koalition ist überhaupt nicht am Ende. Ich würde mir aber wünschen, dass wir viel stärker die gemeinsamen rot-rot-grünen Themen auch öffentlich nach vorne stellen. Denn wir haben einen sehr guten Koalitionsvertrag.
Welche Themen meinen Sie?
Es geht um Wohnen und Mieten, sozial und ökologisch nachhaltige Stadtentwicklung, aber eben auch um das Gewinnen von Personal für den öffentlichen Dienst, eine funktionierende öffentliche Daseinsvorsorge. Außerdem sollten wir aufzeigen, wo Rot-Rot-Grün Politik gegen den Mainstream macht: in der Antidiskriminierungspolitik, in der Flüchtlings- und der Migrationspolitik - Sachen, mit denen wir uns von der Bundespolitik abgrenzen.
Bundespolitisches Vorbild wollte die Koalition auch beim Regieren auf Augenhöhe zwischen den Partnern sein. Stichwort: ohne Koch und Kellner. In dieser Woche kam heraus, dass die langfristige Berlin-Strategie 2030, die zuletzt immer von Stadtentwicklungsverwaltung gemacht wurde, auf einmal die Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) entwickeln soll. Damit wird Ihre Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) erneut düpiert.
Nein, es wurde bereits in den Koalitionsverhandlungen besprochen, dass der Regierende Bürgermeister sich darum federführend kümmern soll. Wichtig ist, dass wir eine vernünftige Berlin-Strategie entwickeln. Die wird der Senat und wird die Koalition ohnehin gemeinsam diskutieren müssen. Das wird keiner alleine für sich als Erfolg verkaufen können.
So einfach stecken Sie das weg?
Ärgerlich ist, dass wir mehr und mehr erleben, dass in der Dreierkonstellation Windhundrennen stattfinden, wer sich zuerst mit welchem Thema öffentlich meldet, um damit zu signalisieren, dass er ganz besonders fleißig ist. Wichtiger wäre mir, dass wir die Themen, die wir gemeinsam verabredet haben, auch vernünftig abarbeiten.
Laut Konzeptaufschlag soll die Zahl der Bürgerbeteiligungsveranstaltungen an der Strategie reduziert werden. Das stellt doch ihr Wahlversprechen, die Stadt gehört den Bürger*innen, massiv infrage?
Darüber werden wir nochmal reden. Klar ist: Ein vorab zugespielter Referentenentwurf ist noch nicht die Meinung des Senats oder der Koalition. Das wird Gegenstand weiterer Verhandlungen sein, da werden wir sehen, welche Partizipationsformate der Senat und die Koalition vorschlagen werden.
Auffällig ist, dass immer wieder Bausenatorin Katrin Lompscher vor allem von der SPD angegangen wird. Als Fraktionschef sind sie nicht Teil des Senats. Wie nehmen Sie das Agieren der Senatorin wahr?
Katrin Lompscher arbeitet sehr intensiv an den Vorgaben des Koalitionsvertrages und dem, was notwendig ist, um den dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Sie hat aber auch einen Schwerpunkt darauf gelegt, die Entwicklung der Mieten in den Griff zu bekommen. Das heißt, es geht eben nicht nur um den Neubau, sondern es geht auch um den Bestand. Hinzu kommt, dass wir eine Reihe von Zielkonflikten haben, was die Flächen angeht im Land Berlin. Beispiel Gewerbeflächen, Beispiel Stadtgrün schützen. Diese Konflikte sind nicht einfach aufzulösen, in dem man Planerfüllungszahlen diskutiert.
Die Arbeit der Bausenatorin stellt Sie also zufrieden?
Ja, natürlich. Sie tut das, was möglich ist. Sie muss eine schwierige Situation aufarbeiten, nachdem es nicht wenige Versäumnisse in den vergangenen Legislaturperioden gegeben hat. Und dass sie dann in der Kommunikation auch hier und da mit Problemen aus der eigenen Verwaltung konfrontiert ist, das hat das Beispiel Blankenburger Süden gezeigt. Das Beispiel hat aber eben auch dargelegt, dass das einfache Verkünden von Zahlen nicht zielführend ist, wenn man die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen will. Es ist ärgerlich, dass sich manche Sozialdemokraten einen schlanken Fuß machen und so tun, als hätten sie mit dieser gesamten Entwicklung nichts zu tun.
Sie selbst sprachen von einem Umsetzungsproblem zwischen dem, was im Koalitionsvertrag alles versprochen wird und was dann auch vom Senat umgesetzt wird. Ist die Bausenatorin Teil des Umsetzungsproblems, oder hat sie mit den widrigen Umständen zu kämpfen?
Wir alle zusammen haben mit diesen widrigen Umständen zu kämpfen. Das Schlüsselthema bei der Umsetzung ist nach wie vor die Personalausstattung. Wir haben in der Koalition leider ein Jahr verplempert, in dem wir über Geschäftsverteilungspläne im Senat diskutiert haben. Dabei hat sich Inneres geweigert, einen Teil der Personalverantwortung an Finanzen abzugeben, so wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen war. Da haben wir sehr viel Zeit verloren.
Die Innenverwaltung hatte aber offenbar in der Zwischenzeit genügend Zeit, andere Projekte voranzutreiben. Zur Ausweitung der Videoüberwachung will Innensenator Andreas Geisel (SPD) bald das Polizeigesetz novellieren.
Im Koalitionsvertrag steht, dass wir auf eine Ausweitung der Videoüberwachung verzichten. Die Debatte hatten wir auch nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz, damals haben wir ein umfangreiches Sicherheitspaket verabschiedet. Statt Sicherheit vorzutäuschen und bürgerrechtliche und datenschutzrechtliche Kollateralschäden in Kauf zu nehmen, geht es uns darum, mehr Sicherheit im Öffentlichen Raum zu schaffen. Wir sind auch bereit, über mehr Personal und Ausrüstung für die Polizei zu diskutieren, aber nicht über neue polizeiliche Eingriffsbefugnisse zulasten von Grundrechten.
Und was wäre, wenn die SPD für ihre Neuregelung andere Partner im Abgeordnetenhaus ins Boot holt?
Der Koalitionsvertrag schließt ein Regieren mit wechselnden Mehrheiten mit der Opposition aus. Es gibt die Einigungspflicht in der Koalition, und zu diesem Thema wird es keine Einigung geben, wenn der Innensenator in irgendeiner Form vorschlägt, die Videoüberwachung im öffentlichen Raum auszubauen oder auszuweiten.
Noch mal: Wenn man sich andere Partner sucht wie beispielsweise die CDU, die ja auch ein Volksbegehren zur Ausweitung der Überwachung unterstützt, dann wäre Rot-Rot-Grün am Ende?
Ja. Ich glaube aber, dass der Innensenator und auch der Regierende Bürgermeister wissen, dass das ein einmaliger Vorgang wäre, gegen den erklärten Willen der Koalitionspartner ein Gesetz einzubringen und das mit der Opposition zu verabschieden - das ist ein absolutes No-Go.
Ihre klare Kante scheint von den Berlinerinnen und Berlinern goutiert zu werden, oder wie erklären Sie sich die guten Umfragewerte?
Wir sind zufrieden.
Aber was ist die Ursache, dass es auf einmal so ganz anders läuft als unter Rot-Rot bis 2011?
Wir machen einiges anders. Wir thematisieren offen die Sachen, die nicht funktionieren, und schlagen Änderungen vor, die wir für notwendig halten. Allerdings prüfen wir vorher, ob unsere Forderungen umsetzbar sind. Wir wissen sehr wohl: Wenn wir nur auf Krawall regieren, schadet das der Gesamtregierung und auch uns selbst.
Aber Sie müssen sich doch in den Streitfragen in der Koalition positionieren?
Genau, deswegen gilt gleichzeitig: Wenn wir die Konflikte, die es real gibt, nicht transparent machen, dann sehen die Leute keinen Unterschied. Daher vertreten wir unsere politischen Überzeugungen und zeigen jeweils auf, was ist das gemeinsam Verabredete in der Regierung und was wollen wir darüber hinaus. Das machen unsere Akteure im Senat, aber auch in Partei und Fraktion sehr gut. Wenn man den Umfragen glauben darf, auch recht überzeugend.
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