Unerträgliche Leichtigkeit

  • Lennart Lévy
  • Lesedauer: 3 Min.

Gar nicht allzu weit entfernt von hier, ungefähr in der Mitte zwischen der Stadt, in der ich lebe, und der Stadt, aus der ich stamme, liegt eine Stadt, in der ich nun am liebsten wäre.

In Prag ist es immer kühl, wenn ich mich recht erinnere. Kühl und leicht verregnet, nicht gar so schlimm wie in London und gerade so, dass es angenehm ist. Die Menschen dort sind freundlich, aber auch ein bisschen verschlossen. Nicht, dass sie etwas zu verbergen hätten, aber sie lächeln nur so viel, dass einem auffällt. Es ist reine Höflichkeit und nicht aufdringlich, die Tschechen reden gerade mal so viel wie nötig ist.

Eigentlich mag ich das, eigentlich mag ich Prag deshalb so gerne, weil es so leicht ist, den Leuten aus dem Weg zu gehen und für sich selbst zu sein.

Ich weiß natürlich auch, warum das so ist. Lange nachdem Prag den Händen der Heimat meiner Vorfahren, dem Hausvolk Habsburgs, entrissen wurde, um bereits kurze Zeit später unter die blutigen Griffel der Deutschen zu geraten und erst nach sieben leidvollen Jahren endlich wieder frei war und frei sein wollte, kamen die Sowjets und erstickten den Versuch eines menschlichen Sozialismus im Keim.

Kein Wunder, dass sie höflich lächeln und Fremden nicht erzählen, was sie denken. Schon gar keinem wie mir, am liebsten würden sie die Wiener mitsamt all den anderen lauten Touristen vor die Tore der Stadt jagen - und das kann ich verstehen.

Aber bei dieser Hitze, dieser unerträglichen Hitze in Berlin, wissen Sie, da wäre ich gerne wieder in Prag, in den kleinen Cafés, wo es zu jedem Kaffee eine Zigarette gibt, in den kleinen Kneipen, in denen kein Mensch erwartet, dass man mit ihm redet oder zumindest in einem der klimatisierten Museen.

Klar, sagen Sie, ich könnte auch in die Berliner Museen gehen, aber ich bin lieber in Museen ohne deutsche Hinweistafeln. Das fühlt sich einfach gar nicht wie ein Urlaub an, wie eine Erholung - obwohl ich in Berlin streng genommen auch nur zu Besuch bin.

Ich vermisse Wien, mein wunderschönes Wien und die Donau. Überschaubar, fast gerade zieht sie sich durch die Metropole, ganz anders als die Spree mit ihrem Zick-Zack-Kurs. Und was ist das überhaupt für ein Name? Spree. Spree. Spree. Spree. Spree. Spree. Spree. Das klingt doch nach nichts.

Trotzdem muss ich an der Spree spazieren gehen, um Inspiration für meine Geschichten zu bekommen. Langsam falle ich der Überzeugung anheim, wer verdammt ist, Prosa in dieser schrecklichen, preußischen Metropole schreiben zu müssen, ist auch verdammt sich damit abzufinden, dass es niemals gute Prosa werden kann.

Allein beim Gedanken an mein Wien fallen mir tausend Gedichte ein, Kurzgeschichten, Novellen, Romane. In Berlin bleibt mein Notizbuch leer, wenn ich durch einfallslose Kieze spaziere, nichts berührt mich hier. Und dann will ich nach Prag, oder meinetwegen nach Budapest, Belgrad, Zagreb, Zürich. Oder nach Wien zurückzukehren. Obwohl ich mir vorgenommen habe, dieser verdammten Stadt für immer den Rücken zu kehren. Schirch.

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