Meisterwerke der Architektur im Jemen

Eine Fotoausstellung im Pergamonmuseum zeigt die vielfältige Architekturtradition des Jemen

  • Manuela Lintl
  • Lesedauer: 4 Min.

Wieder einmal macht das im Pergamonmuseum beheimatete Museum für Islamische Kunst mit einer kleinen, ausgiebig kommentierten Ausstellung auf ein aktuelles kulturhistorisches Desaster aufmerksam: Gezeigt werden etwa dreißig vergrößerte Architekturfotos aus dem Jemen, die Trevor Marchand zwischen 1990, dem Jahr, in dem sich der ehemalige Südjemen mit dem Nordjemen zur Republik Jemen vereinigte, und 1998 aufgenommen hat. Die Aufnahmen des Architekten und Anthropologen sind während seiner Lehrzeit bei jemenitischen Minarett Baumeistern entstanden und zeugen von einer atemberaubend schönen Architektur im Einklang und Dialog mit der Landschaft des Jemens. Das Land erstreckt sich am Fuße der Arabischen Halbinsel vom Roten Meer über das Hochland und die Wüste bis zum Golf von Aden als Teil des Indischen Ozeans und die Region Hadramaut.

Aufgrund des seit März 2015 anhaltenden Krieges sind diese Bilder nun zu Zeugnissen bereits zerstörter oder von Zerstörung bedrohter Architekturen und Weltkulturerbestätten im Jemen geworden. Denn vor drei Jahren begann die Militärintervention einer Allianz von neun Staaten der Region unter der Führung Saudi-Arabiens mit Bombardierungen und Kampfhandlungen am Boden, um die jemenitische Regierung gegen die schiitischen Huthi-Rebellen zu unterstützten. Brisanterweise hat die deutsche Regierung in dieser Zeit milliardenschwere Rüstungslieferungen in das Krisengebiet genehmigt. Allein 2017 betrug der Wert exportierter Rüstungsgüter an die am Jemen-Krieg beteiligten Länder rund 1,3 Milliarden Euro. Der bewaffnete Konflikt dauert nach Scheitern der letzten Friedensgespräche in Kuwait im August 2016 an und hat schon über 10 000 Opfer gefordert. Des Weiteren sind im Jemen derzeit mit 14,8 Millionen - also fast die Hälfte der Bevölkerung - ohne Zugang zu elementarer Gesundheitsversorgung und ohne adäquaten Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen und 18,8 Millionen Menschen - davon 9,6 Millionen Kinder - sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Vereinten Nationen warnen vor einer akuten Hungersnot.

Von diesen fürchterlichen humanitären und katastrophalen politischen Hintergründen erfahren die Ausstellungsbesucher jedoch nichts - das Wissen darum wird wohl schlichtweg vorausgesetzt. Und so konzentriert sich die Schau ganz darauf, das Besondere und Spektakuläre der jemenitischen Baukunst zu zeigen. Zumal dieses einzigartige kulturelle Erbe ebenfalls durch die anhaltenden Bombardements und Kampfhandlungen stark gefährdet ist. Hinzu kommen Raubgrabungen in archäologischen Fundstätten sowie religiös bedingte Zerstörungen. Als Ort der Präsentation dienen wieder einmal die hierfür denkbar ungeeigneten Wände des Treppenhauses, zumal die Besucherströme hier nahezu ungebremst an den Bildern und Texttafeln in den Mschatta-Saal im ersten Stock vorbeirauschen, der dann doch genügend Raum und die nötige Ruhe zum Betrachten der Fotos bietet.

Lange vor dem sagenhaften Reich der Königin von Saba entwickelte sich im Jemen, optimal an die landschaftlichen Gegebenheiten und klimatischen Herausforderungen angepasst, eine Vielfalt traditioneller Baustile, abgestimmt auf drei sehr unterschiedliche Klimazonen: den 2400 Kilometer langen feuchtheißen Küstenstreifen, die trockenheiße Wüste im Osten und das kühle Hochland. Die jemenitische Baukunst bietet so vorbildhafte Beispiele für eine komplett nachhaltige und ökologisch funktionierende Bauweise mit regionalen Materialien.

Ihre Markenzeichen sind unter anderem die massiven Festungen aus Lehm, variantenreiche Kuppelmoscheen mit schlanken Minaretten oder elegante und zum Teil reich verzierte Turmhäuser aus Lehm mit bis zu neun Stockwerken. Vor allem aber steht der Jemen für seine an braune Lebkuchenhäuser erinnernden Wohnhäuser mit weiß abgehobenen Akzentuierungen aus Kalk oder Gips. Das Land bietet aber auch Beispiele einfacher, zweckmäßiger und organisch geformter Rundhütten aus Lehm sowie architektonische Meisterleistungen wie die auf Bergspitzen thronenden Dörfer, verbunden durch schwindelerregende Pfade. Ausgeklügelte Kanalsysteme versorgen die steilen Terrassenfelder an den Gebirgshängen mit Wasser. Generationen hochspezialisierter Maurer, Tischler und andere Handwerker errichteten mit erfindungsreichen Techniken und lokal verfügbaren Materialien diese einzigartigen Bauensembles. Allein »mit Augenmaß« gebaut, rufen ihre Dimensionen und perfekten Proportionen bis heute Erstaunen und Bewunderung hervor.

Auch deshalb wurden die Altstädte von Shibam, das als »Manhattan in der Wüste« gilt, von Sana’a und von Zabid, der einstigen »Stadt der Gelehrten« von der UNESCO zu Weltkulturerbestätten erklärt. Heute sind alle drei als bedroht eingestuft. »Jenseits der öffentlichen Wahrnehmung«, so lautet der eindringliche Appell der Ausstellungsmacher, »und ohne den Schutz der internationalen Gemeinschaft geht dieses Kulturerbe unwiederbringlich verloren.« Die Mahnung erinnert an Pier Paolo Pasolinis Dokumentarfilm »Die Mauern von Sana’a«. Bereits 1971 hatte sich der italienische Filmemacher und Autor darin gegen die Zerstörung eines einzigartigen Kulturgutes im Jemen eingesetzt, auch bedingt durch die Abkehr von der bäuerlich-archaischen Lebensweise und dem voranschreitenden Einzug einer kapitalistischen Konsumkultur. Pasolinis unermüdlichen Appellen an die UNESCO ist zu verdanken, dass Jemens Hauptstadt schließlich zum schützenswerten »Weltkulturerbe« erklärt wurde. Die Weltgemeinschaft ist nun erneut dazu aufgerufen, tätig zu werden.

Bis 14. Oktober, Pergamonmuseum, Bodestraße, Mitte

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