- Berlin
- Neonazi-Aufmarsch in Spandau
Heß-Marsch an den Rand gedrängt
Erfolg für Bündnis: Neonazis marschieren wohl nicht vor Ex-Kriegsverbrechergefängnis auf
Der Aufmarsch von Neonazis am Samstag in Spandau muss weit entfernt vom ehemaligen Standort des Kriegsverbrechergefängnisses stattfinden. Das bestimmte die Versammlungsbehörde, wie am Donnerstag bekannt wurde. In dem mittlerweile abgerissen Gefängnis saß einst der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, der dort am 17. August 1987 Suizid beging. Laut Versammlungsbehörde sollen die erwarteten 500 Neonazis, die aus ganz Deutschland mobilisiert werden, von der Schmidt-Knobelsdorf-Straße über den Seeburger Weg, die Maulbeerallee, den Magistratsweg und den Brunsbütteler Weg bis zur Ecke Brunsbütteler Damm und Nennhauser Damm marschieren, hieß es.
Auf nd-Nachfrage wollte sich die Polizeipressestelle am Donnerstag zunächst nicht zu der Neonazi-Route und dem parallelen Großeinsatz der Polizei äußern. Wie die Anmelder der Rechtsextremisten mit der angebotenen Strecke umgehen, war ebenfalls unklar. »Es gibt bei uns bislang kein Eilverfahren Versammlungsrecht«, sagte der Pressesprecher des Verwaltungsgerichts, Stephan Groscurth, am Donnerstagmittag. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass im Laufe des Tages noch ein Eilantrag gestellt werde.
In der Zivilgesellschaft, die sich mit einem Bündnis gegen den Aufmarsch der Neonazis positioniert, wird die mögliche Verlegung des rechtsextremen Aufmarsches begrüßt. »Durch die breiten Gegenproteste ist es bereits jetzt gelungen, dass die Neonazis nicht vor das ehemalige Kriegsverbrechergefängnis in Spandau marschieren«, sagt Ulf Baimler dem »nd«. Er ist Projektkoordinator der Mobilisierungsplattform »Berlin gegen Nazis«, die die antifaschistischen Proteste begleitet. Die Zivilgesellschaft hatte bereits vor Wochen zahlreiche Kundgebungen angemeldet, die offenbar jetzt zu der Verlegung beitrugen. Insgesamt wird mit mehreren Tausend Gegendemonstranten am Samstag in Spandau gerechnet. »Es ist unerträglich, dass mal wieder Nazis durch die Straßen Berlins marschieren. Wir sagen ganz klar Nein zu Hass und rechter Hetze und werden das am Samstag auch lautstark zeigen«, sagt der Landesgeschäftsführer der LINKEN, Sebastian Koch. Die LINKE trifft sich am Samstagmorgen um 9.30 Uhr am Alexanderplatz am Platz vor dem Fernsehturm, um gemeinsam zu den Protesten gegen die Neonazis zu fahren. Auch andere Parteien wie SPD, Grüne und CDU sowie Kirchen und Gewerkschaften rufen dazu auf, gegen den rechtsextremen Aufmarsch zu protestieren. »Rechtsextreme Gewalt dürfe nicht unwidersprochen bleiben«, sagt Koch.
Ein Verbot des Neonazi-Aufmarsches erwägt Rot-Rot-Grün - wie berichtet - unterdessen nicht. »Für ein Verbot des Aufzuges liegen allerdings die aufgrund der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit hohen Voraussetzungen nicht vor«, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD). Die Versammlungsbehörde habe dies bereits im vergangenen Jahr in seinem Auftrag umfassend geprüft, hieß es. Dennoch sei jede »Verherrlichung von Rechtsextremismus« widerwärtig und werde von ihm auf Schärfste verurteilt, so der Innensenator. Das Mitte-links-Bündnis arbeitet derzeit an einer Reform des Versammlungsrechts. »Das geht aber eher in Richtung Liberalisierung«, sagt der Abgeordnete Benedikt Lux (Grüne). Der Innenexperte der Fraktion kann sich aber auch vorstellen, über bestimmte Orte nachzudenken, die für Neonazis tabu sind. »Vor dem Holocaust-Mahnmal ist bereits jetzt schon jeder Neonazi-Aufmarsch verboten«, betont Lux. Organisationen wie die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, aber auch der Spandauer CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Wegner hatten Anfang der Woche ein Verbot des rechtsextremen Aufmarsches gefordert.
Statt ein Verbot auszusprechen hat Rot-Rot-Grün einen alternativen Weg beschritten: Dem Anmelder des überparteilichen rechtsextremen Aufmarsches wurden strikte Auflagen erteilt, um die Sicherheit zu gewährleisten und jede Form der Glorifizierung des Naziregimes zu unterbinden. Nach nd-Informationen ist jegliche Verherrlichung von Rudolf Heß und des Naziregimes untersagt. Auch die Anzahl der Fahnen pro Block ist genau festgelegt und darf nicht überschritten werden. »Die Polizei Berlin wird die Einhaltung der Auflagen streng kontrollieren und mögliche Verstöße ahnden«, kündigte Innensenator Andreas Geisel im Vorfeld des Aufmarsches an.
Unklar blieb am Donnerstag unterdessen auch, ob es sich bei der Anmeldung eines zweiten neonazistischen Aufmarsches in Mitte nur um eine Ablenkungsaktion handelt. »Über diese Demonstration können wir noch keine Auskunft geben, es laufen noch Gespräche mit der Polizei«, erklärt Sebastian Schmidtke. Der NPD-Funktionär soll den Aufmarsch in Mitte angemeldet haben. Zum »eigenständigen, überparteilichen« Aufmarsch der Neonazis in Spandau wollte Schmidtke keine Angaben machen.
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten warnte derweil in einer Pressemitteilung vor der Entstehung eines Angstraumes in Spandau, weil die Neonazis »möglichst weit weg und unbehelligt« von den angekündigten Protesten marschieren sollen. Die antifaschistische Vereinigung appellierte erneut an Innensenator Geisel, den rechtsextremen Aufmarsch zu verbieten.
Infos: berlin-gegen-nazis.de/
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