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Kubaner haben das letzte Wort
Parlamentarischer Verfassungsentwurf wird von der Bevölkerung diskutiert / Plebiszit zum Abschluss des Prozesses
In diesen Tagen trifft man in der kubanischen Hauptstadt Havanna immer wieder auf mal größere, mal kleinere Gruppen von Bürgern, die zusammenstehen oder zusammensitzen und zum Teil lebhaft diskutieren. Seit Mitte August sind Millionen von Kubanern aufgerufen, sich drei Monate lang in landesweit 135.000 Nachbarschafts- und Betriebsversammlungen an der Diskussion über die Reform der Verfassung zu beteiligen. Die derzeitige Magna Charta stammt aus dem Jahr 1976. Die neue Verfassung soll die veränderten kubanischen Realitäten besser widerspiegeln und die Wirtschafts- und Sozialreformen der vergangenen Jahre rechtlich verankern.
Im Theater des Poliklinikums »Nguyen Van Troi« in Havannas Stadtteil Centro Habana, einem schmucklosen Saal mit der Aura einer Schulturnhalle, haben sich rund 50 Ärzte und Angestellte versammelt, um über den Verfassungsentwurf zu beraten. Begleitet werden sie von mindestens ebenso vielen Pressevertretern. Was auffällt: Kaum jemand der Anwesenden ist jünger als 40, 50 Jahre. Geleitet wird die Veranstaltung von Susel Lameré García, einer resoluten Mittfünfzigerin, ihres Zeichens Funktionärin der Kommunistischen Partei Kubas (PCC). Sie und die neben ihr sitzende Schriftführerin Miriam Mena vom Kommunistischen Jugendverband UJC sind in den vergangenen Wochen zusammen mit rund 15.000 Kadern geschult worden, um jeweils als Doppelgespann die Verfassungsdebatten zu leiten, wie Lameré im Gespräch mit »neues deutschland« erzählt.
Nach dem gemeinsamen Singen der Nationalhymne beginnt Lameré, den im Juli von der Nationalversammlung verabschiedeten Verfassungsentwurf Zeile für Zeile vorzulesen. Insgesamt umfasst er 224 Artikel - 87 mehr als die alte Verfassung. Die Teilnehmer der Sitzung sind aufgerufen, Meinungen, Zweifel zu äußern, Änderungswünsche und Ergänzungen einzubringen oder Streichungen vorzuschlagen. »Wir bewerten die Meinungen nicht, sondern nehmen sie nur auf. Es gibt keine Abstimmungen; jede Wortmeldung ist wertvoll«, so Lameré. Alle Wortbeiträge würden protokolliert und an eine Expertenkommission auf Kommunalebene weitergegeben, die diese innerhalb von 48 Stunden redigiert und an Teams aus Juristen und anderen Experten auf Provinz- und Landesebene weiterleitet, erläutert Lameré das Prozedere. Bis Mitte November werden alle Änderungsvorschläge gesammelt und eingearbeitet. Anschließend wird das Parlament über den überarbeiteten Entwurf erneut abstimmen, ehe am 24. Februar 2019 die Bevölkerung in einem Referendum das letzte Wort hat.
Der vorläufige Text bekräftigt den sozialistischen Charakter des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systems Kubas sowie die Führungsrolle der PCC in Staat und Gesellschaft. Die Lesung des ersten Teils des Verfassungsentwurfes im Klinikum erfolgt weitgehend kommentarlos. Planwirtschaft und Staatseigentum bleiben fundamental für das kubanische Wirtschaftssystem; Staatsunternehmen sollen mehr Autonomie erhalten; gleichzeitig wird die Rolle des Marktes und neuer privater Eigentumsformen anerkannt. Lameré scheint die geringe Beteiligung mit zunehmender Dauer zu stören. »Es hilft nicht, danach im Laden oder an der Bushaltestelle zu diskutieren oder zu kritisieren - hier und jetzt ist der Ort«, sagt sie.
Beim Thema Gesundheitsversorgung wird es kurz lebhaft. Die Ärztin Diana Isel Ribiana mahnt die individuelle und familiäre Verantwortung angesichts des Rechts auf kostenlose Gesundheitsversorgung an. Eine Kollegin ergreift als Mutter das Wort und schlägt vor, den Militärdienst erst nach Beendigung des Studiums verpflichtend zu machen. Lameré erinnert daran, dass die Verfassung eher allgemein gehalten ist; viele Kriterien, wie die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehe, werden in den nachgeordneten Gesetzen, wie dem Familienrecht, spezifiziert werden.
Um einiges diskussionsfreudiger verläuft die Debatte in Kohly im Stadtteil Playa. Dort sind in den Abendstunden auf der Straße rund 100 Nachbarn zusammengekommen; auch hier überwiegend ältere Semester. Da bereits die Abenddämmerung eingesetzt hat, beleuchten einige ihre Notizen mit Mobiltelefonen oder lesen von Tablets ab.
In Kohly sorgen vor allem die Neuerungen in der politischen Struktur für Diskussionsstoff. Die Macht soll auf mehrere Schultern verteilt werden. Neben dem Staatsratsvorsitzenden werden der Posten des Staatspräsidenten sowie eines Minsterpräsidenten neu geschaffen. Die Amtszeiten sollen auf maximal zweimal fünf Jahre begrenzt werden. Auf lokaler Ebene sollen die Provinzparlamente abgeschafft und stattdessen Gouverneure eingesetzt werden. »Das hat seine positiven Seiten (…), unabhängig davon glaube ich, dass die Gouverneure wählbar sein sollten«, gibt die Rentnerin Dania Rodríguez zu bedenken.
Im Poliklinikum Van Troi dünnt sich die Zahl der Anwesenden nach und nach aus. Am Ende eines langen Arbeitstages sind die meisten Ärzte nicht mehr so recht in Diskussionslaune. Demokratie ist eben eine langatmige, manchmal etwas ermüdende Angelegenheit. »Eine Nation kann nicht wie ein vierköpfiger Haushalt geführt werden«, sagt Lameré. »Elf Millionen Kubaner müssen sich in dieser Verfassung wiederfinden.«
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