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Ein Radweg auch für Flüchtlinge
Verkehrsministerin gab Strecke frei, für die sich ein asylfeindlicher Verein eingesetzt hatte
»Ich habe dem Herrgott gedankt, dass hier niemand zu Tode gekommen ist in der Zeit, die wir gewartet haben«, sagt Bürgermeister Hartmut Laubisch (SPD). Am Mittwoch wird am Ortseingang von Zützen der Radweg nach Golßen (Dahme-Spreewald) für den Verkehr freigegeben. In dem Dorf, das als Ortsteil zur Kleinstadt Golßen gehört, gibt es keine Schule und keinen Laden. Zum Einkaufen fahren diejenigen unter den rund 500 Einwohnern, die kein Auto haben, mit dem Fahrrad. Doch die Bundesstraße 96 ist eng. Nicht nur ein Radfahrer ist in der Vergangenheit mal von einem Auto gestreift worden. Glücklicherweise hat es dabei nur einen schlimmen Unfall gegeben.
Nun ist der lange ersehnte Radweg in Fahrtrichtung rechts etwas abseits der Straße endlich fertig. 2,2 Kilometer ist er lang und hat 1,3 Millionen Euro gekostet. Der Bund bezahlt das. Es ist vergleichsweise viel Geld für so eine Strecke. Aber es waren Brücken über die Dahme und den Kaulschen Graben erforderlich, mit allem drum und dran, einem Durchlass für Otter beispielsweise. Auch das gewöhnlich feuchte Terrain machte das Projekt schwierig. Doch die Hitze und die damit einhergehende Trockenheit in diesem Sommer erleichterte die Bauarbeiten, die deswegen zwei Monate früher abgeschlossen werden konnten als geplant.
Rechtliche Schwierigkeiten bereitete ein unter Naturschutz stehender Erlen-Eschen-Wald, der am Rande von dem Radweg berührt wird. Bei den Planungen des Landesbetriebs Straßenwesen stellte sich deswegen die Frage, ob eine Radwegegenehmigung ausreicht oder ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet werden muss. Das aufwendige Verfahren hätte den Radweg um mindestens zwei Jahre verzögert. Doch Umweltschützer zeigten ein Einsehen. Sie erkannten, dass der Radweg das wertvolle Kerngebiet des Waldes nicht beeinträchtigt, und sicherten per Handschlag zu, nicht gegen die Genehmigung zu klagen. »Es ist schön, dass man sich in Deutschland auf einen Handschlag noch verlassen kann«, lobt Bürgermeister Laubisch.
Doch als es Ende 2016 zunächst die Hiobsbotschaft gab, der Naturschutz verzögere eventuell die Fertigstellung des Radwegs, trat eine Bürgerinitiative auf den Plan und veranstaltete insgesamt sechs Fahrraddemonstrationen. Diese Initiative ist inzwischen als Verein organisiert und sorgte bundesweit für Schlagzeilen - mit asylfeindlichen Aufmärschen in Cottbus mit bis zu 4000 Teilnehmern. Die Rede ist von dem Verein »Zukunft Heimat«, der auf seinen Kundgebungen in der Lausitzmetropole neben etlichen AfD-Politikern auch Pegida-Gründer Lutz Bachmann und dem rechten Verleger Götz Kubitschek ein Podium bietet. Wenige wissen, dass »Zukunft Heimat« seine zweifelhafte Karriere mit dem Kampf um einen Radweg begann. Ganz am Anfang stand allerdings stilecht die Aufregung über Flüchtlinge, die in Wohnblöcken in Zützen untergebracht werden sollten - oder wie es der Vereinsvorsitzende Christoph Berndt präzise formuliert haben möchte - am Anfang standen die negativen Erfahrungen mit der Politik, die nicht öffentlich über die Pläne für ein Asylheim unterrichtet habe.
Auch über die Verkehrsfreigabe für den Radweg fühlt Berndt sich nun wieder nicht anständig in Kenntnis gesetzt. Das Datum stand zwar in den Terminen der rot-roten Landesregierung, weil Verkehrsministerin Kathrin Schneider (SPD) hier ein schwarz-rot-goldenes Band durchschneiden sollte, aber davon hat Christoph Berndt quasi zufällig erfahren - und es ärgert ihn, dass die festgesetzte Zeit, vormittags an einem Werktag, nicht geeignet sei, berufstätige Bürger und insbesondere auch die Protagonisten von »Zukunft Heimat« an dem Festakt teilhaben zu lassen.
Berndt, der als wissenschaftlicher Assistent und Personalrat an der Berliner Universitätsklinik Charité tätig ist, hat es nun aber doch so eingerichtet, dass er vor Ort sein kann. Er hält ein Schild hoch. »Radeln für den Radweg war ein Erfolg«, steht darauf. »Wir behaupten nicht, dass der Radweg alleine wegen der Raddemos gebaut wurde«, versichert Berndt. »Aber ob der Bau ohne den Druck der ausgerechnet von ›Zukunft Heimat‹ organisierten Raddemos nicht einmal mehr vertagt worden wäre, darf wohl gefragt werden.«
Der Landesbetrieb Straßenwesen dementiert, dass die Fertigstellung des Radwegs irgendetwas mit dem Wirken des Vereins »Zukunft Heimat« zu tun habe. Dank schulde man der Kommune und dem Landkreis, die sich für die schnelle Realisierung eingesetzt haben, und den Naturschutzverbänden, die dem Vorhaben keine Steine in den Weg legten. Entscheidend sei immer der Bedarf. Ganz konkret habe die Sicherheit des Schulwegs im Vordergrund gestanden.
»Sie sind nicht die einzigen, die sich einen Radweg wünschten«, erzählt Verkehrsministerin Schneider den rund 50 Männern und Frauen, die teils mit ihren Fahrrädern zur offiziellen Freigabe der Strecke gekommen sind. 2800 Kilometer Bundesstraßen und 5700 Kilometer Landesstraßen gebe es in Brandenburg. Entlang von je 1000 Kilometern dieser Straßen seien Radwege angelegt, und außerdem gebe es eine Warteliste für hunderte weitere Kilometer. Da müssen Prioritäten gesetzt werden, bedauert Schneider, nicht alle Wünsche sofort erfüllen zu können. »Es ist wie Zuhause. Man kann nur das Geld ausgeben, das man hat.« Immerhin habe die rot-rote Koalition die Mittel für den Radwegebau schon deutlich erhöht, sagt Schneider. Im kommenden Jahr stehen demnach elf Millionen Euro dafür zur Verfügung. 2014 seien es nur fünf Millionen gewesen. Zum Abschluss ihrer Ansprache wünscht die Ministerin »unfallfreie Fahrt«. Die Zuhörer klatschen durchaus begeistert.
Eine Seniorin hat den Radweg schon unmittelbar zuvor ausprobiert. Sie strahlt und ist zufrieden. Ein Detail schmeckt ihr aber nicht. Dass die Asphaltstrecke ein Stück von der B 96 entfernt hinter Büschen verläuft. Da könnte sich im Dunkeln jemand verstecken und ihr auflauern, um sie auszurauben. Ob denn so etwas vorkommt, hier auf dem Lande? »Aber bestimmt, wir haben doch Asylanten in Zützen«, sagt die Rentnerin und verdreht die Augen. Die klauen Fahrräder und machen nicht Platz, wenn die Deutschen klingeln. So schimpft die Frau in einem fort. »Das hat überhand genommen mit den Ausländern«, beschwert sie sich. Sie zeigt auch kein Mitleid mit den Menschen. »Wenn wir mal flüchten müssten, wo sollen wir hin?« Am Ende beruhigt sie sich doch. »Wir wollen nicht meckern. Der Radweg ist sehr schön geworden.«
Die Ironie der Geschichte: Die von dem asylfeindlichen Verein so vehement verlangte Strecke nutzt natürlich nicht nur den Einheimischen. Freuen dürfen sich auch die Asylbewerber, die genauso wie andere Bewohner von Zützen zum Einkaufen nach Golßen radeln. Das räumt Vereinschef Berndt ein. »So soll es auch sein. Wir wollen ja nicht, dass jemand totgefahren wird.« Dazu kann er sich einen abfällig geäußerten Vorwurf nicht verkneifen: Die Flüchtlinge seien manchmal auf der falschen Straßenseite gefahren.
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