Fake News sorgen für Gewaltausbruch

Hunderte Rechtsradikale marschieren nach Tod eines 35-Jährigen durch Chemnitz und veranstalten eine Hetzjagd

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Als sich am Sonntagnachmittag Hunderte Rechte in der Chemnitzer Innenstadt treffen, wird rasch klar: Den fast 1000 gewaltbereiten, rechten Hooligans und anderen Neonazis steht ein viel zu kleines Aufgebot an Polizisten gegenüber. Die Beamten sind mit nur etwa 100 Einsatzkräften vor Ort. Kontrollieren lässt sich die aufgeheizte Gruppe damit nicht, was die Polizei noch am Abend einräumt. Die Gruppierung habe »keine Kooperationsbereitschaft« gezeigt und »reagierte nicht auf die Ansprache« durch die Beamten, hieß es in einer ersten Einschätzung. Was das bedeutet, dokumentieren mehrere über die sozialen Netzwerke verbreitete Videos, die teils von anwesenden Antifaschisten ins Netz gestellt wurden, teils von Rechtsradikalen selbst. Sie zeigen wie Teile des Aufmarsches zu einer Hetzjagd auf Menschen ansetzen, die aus ihrer Sicht keine Deutschen sind.

In einem Video ist zu sehen, wie mehrere Männer auf zwei Personen losstürmen und diese sich über eine befahrene Straße flüchten. Währenddessen skandiert die Gruppe: »Haut ab« und »Ihr seid hier nicht willkommen«. In einem zweiten Clip ist zu hören, wie aus dem Aufmarsch heraus jemand »Zecken« brüllt und damit auf eine Gruppe vermeintlicher Linker hinweist, die aus der Ferne das Geschehen beobachten. Wieder stürmen mehrere Rechte los, die Menge grölt, pfeift und lacht. Am Ende des Tages ist es wohl eher dem Zufall zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passiert. Aus ihren Absichten machte der rechte Mob keinen Hehl. Antifaschisten, die vor Ort waren, berichten gegenüber »nd«, wie Rechte zum »Kanakenklatschen!« aufgerufen haben sollen und die rechte Parole »Frei, sozial und national« skandierten.

Düstere Erinnerungen
Die grässlichen Bilder von einst sind zurück. Was derzeit in Chemnitz passiert, weckt düstere Erinnerungen an die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda zu Beginn der 90er Jahre.

Dass die Situation derartig eskalierte, hatte auch mit Falschinformationen zu tun, die über den Anlass des Aufmarsches verbreitet wurden. Am frühen Sonntagmorgen war es in der Chemnitzer Innenstadt zu einer Messerstecherei gekommen, deren konkreter Hergang noch ermittelt werden muss. Sicher ist nur: Infolge der Auseinandersetzung von etwa zehn Personen unterschiedlicher Nationalität wurden drei Männer teils schwer verletzt, ein 35-Jähriger erlag später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Bereits am Sonntagvormittag verbreitete sich dann über die sozialen Netzwerke das Gerücht, Auslöser des tödlichen Streits seien Migranten gewesen, die auf dem gerade stattfindenden Stadtfest Frauen belästigt hätten. Zudem hieß es, es habe einen zweiten Toten gegeben. Zwar dementierte die Polizei die kursierenden Falschinformationen, doch da hatte sich die Geschichte längst verselbstständigt. Zusätzlich Öl ins Feuer goss zudem die Berichterstattung der »Bild«, die in einem Onlineartikel die Gerüchte teilweise übernahm, was wiederum Grundlage für einschlägige rechte Websites wie Plattform »PI-News« war, der Geschichte einen aufgeheizten Dreh zu geben. Schließlich war es die AfD Chemnitz, die für Sonntagnachmittag zu einer »Spontandemo« mobilisierte, an der sich zunächst etwa 100 Menschen beteiligten. Wohl dadurch zusätzlich motiviert, riefen auch andere rechte Gruppierungen über die sozialen Netzwerke auf, durch die Innenstadt zu marschieren. »Lasst uns zusammen zeigen, wer in der Stadt das sagen hat«, hieß es in einem inzwischen gelöschten Aufruf auf der Facebook-Seite der rechten Ultragruppe »Kaotic Chemnitz«, die sich im Umfeld des Fußballvereins Chemnitzer FC organisiert. Selbst Sachsens Verfassungsschutz ist die Gruppierung ein Begriff. Die Behörde stuft »Kaotic« als »rechtsextremistische Hooligangruppierung« ein, ebenso wie die schon dem Namen nach als Neonazi-Gruppe ersichtlichen »NS-Boys« (»New Society Boys«). Entsprechend war der Aufmarsch vom Sonntag auch keine friedliche Zusammenkunft, die nur ein Todesopfer betrauern wollte. Einschlägig bekannte Rechte waren ebenso beteiligt, wie Anhänger der Neonazipartei »Der III. Weg« und lokale Kameradschaften. Die Chemnitzer Neonaziszene gilt schon seit den 1990er Jahren als gut vernetzt, nicht grundlos tauchten hier 1998 die NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ab.

Aus Sicht von AfD-Vertretern versammelten sich am Sonntag jedoch nur sogenannte besorgte Bürger. »Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach«, rechtfertigte der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier den Aufmarsch, der an blinde Selbstjustiz erinnerte.

Deutlich differenzierter äußerten sich dagegen Vertreter anderer Parteien im Freistaat. »Die Ereignisse der letzten 48 Stunden in Chemnitz machen mich fassungslos«, sagte die sächsische LINKEN-Vorsitzende Antje Feiks. Den gewaltsamen Tod eines Menschen habe sie mit Bestürzung zur Kenntnis genommen. Die sich anschließende Mobilisierungswelle im Spektrum der extremen Rechten und Hooligans lasse Erinnerungen an die Pogrome zu Beginn der 1990er Jahre aufkommen. »Chemnitz darf kein zweites Rostock-Lichtenhagen werden«, warnte Feiks.

Die Grünen im Freistaat gaben der sächsischen Landesregierung eine Mitschuld an den Ereignissen. Es fehle seit Jahren eine klare Haltung gegen rechts, und man habe jene gewähren lassen, die hetzten und zündelten, so Parteichefin Christin Melcher. Frühere Vorfälle wie in Heidenau oder Clausnitz und das teils zögernde Eingreifen von Polizeibeamten dort hätten ein Signal gegeben, dass solche Gewaltexzesse nicht durchgreifend geahndet würden. Tatsächlich sorgte Sachsen in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen, weil es aus rechten Aufmärschen heraus immer wieder zu Hetzjagden auf Migranten und Linke gekommen war.

Chemnitz stehen heikle Tage bevor. Für Montagabend mobilisierten mehrere Neonazigruppen zu Aufmärschen, auch aus dem Umfeld von Pegida sind in den nächsten Tagen Aktionen angekündigt. Antifaschisten wollen ihrerseits dagegenhalten.

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