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Gesundheitsministerin Diana Golze gibt auf
Politikerin der Linkspartei zieht persönliche Konsequenzen aus Pharmaskandal
Die Firma Lunapharm mit Sitz in Blankenfelde-Mahlow soll über Jahre hinweg gestohlene Krebsmedikamente aus Griechenland an deutsche Apotheken und Großhändler geliefert haben. Das Landesgesundheitsamt erhielt Hinweise auf die kriminellen Machenschaften und ging der Sache auch nach. Spätestens im März 2017 hätten ausreichend Erkenntnisse vorgelegen, um die Auslieferung zu stoppen und die Medikamente auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen. Dies unterblieb jedoch. Ob die Präparate nun einwandfrei waren oder nicht, ob es also gesundheitliche Folgen für die Patienten gegeben hat, lässt sich im Moment nicht mit Sicherheit sagen.
Das alles entnimmt Gesundheitsministerin Diana Golze (LINKE) dem Bericht einer unabhängigen Expertenkommission. Sie selbst hat von den Vorgängen nichts gewusst, verkündet jedoch am Dienstagmorgen auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz ihren Rücktritt. Ohne danach auf Rückfragen einzugehen, verliest Golze im Foyer des Ministeriums eine Erklärung. In dieser Erklärung heißt es, sie habe den Brandenburgern versprochen, aufzuklären, wie es zu dem Pharmaskandal kommen konnte, und sicherzustellen, dass dies in Zukunft nicht mehr geschehen könne. «Das habe ich eingelöst.»
Es sei nicht leicht gewesen, innerhalb so kurzer Zeit und unter dem öffentlichen Druck einen so umfassenden Bericht vorzulegen, der verschiedene Aspekte beleuchte und eine Zeitleiste der einschlägigen Vorgänge beinhalte, so die Ex-Ministerin.
Die Expertenkommission spricht von einer personell unzureichend besetzten Fachaufsicht im Ministerium und im Landesgesundheitsamt. Zudem habe keine hinreichende Klarheit über Entscheidungsspielräume und über Abläufe zwischen Ministerium und Gesundheitsamt bestanden. Diana Golze sieht im Ergebnis «strukturelle und organisatorische Mängel, für die letzten Endes die Ministerin die politische Verantwortung zu tragen hat».
Mit vergleichsweise kühlen Worten quittierte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) den Rücktritt. Um 10.30 Uhr trat er am Dienstag vor die Presse und sagt, er habe Golzes «folgerichtigen» Schritt zur Kenntnis genommen. Die persönliche Verantwortung der Ministerin könne man diskutieren. Dass Golze die politische Verantwortung übernommen habe, sei aber «richtig» gewesen. Unter Hochdruck sei von der Expertenkommission an dem Untersuchungsbericht gearbeitet worden, lobte Woidke. Entgegen vorab geäußerter Vermutungen sei nichts beschönigt worden. Wäre Golze früher zurückgetreten, «wäre keines der Probleme dadurch kleiner geworden», betonte
Woidke. Auf die Frage, ob er die Ministerin zu ihrem Rücktritt drängen musste, sagte der Regierungschef, sie sei selbst und von allein zu diesem Entschluss gekommen. Ein Gespräch am Vorabend habe sie nachdenklich gemacht. Er glaube, der Koalitionspartner, die LINKE«, sei zur gleichen Auffassung gelangt.
Der Ministerpräsident sprach von kriminellen Machenschaften, europaweit organisiertem Verbrechen. Unklar sei, ob man nur die Spitze eines Eisbergs vor sich habe. Es gebe in der Pharmabranche »eine Unmenge an Profit zu verdienen«. Auf der anderen Seite bemühe sich das deutsche Gesundheitswesen, »ein paar Euro einzusparen«. Hier müssten alle Vorschriften hinterfragt werden. Bislang ist es so, dass ein bestimmter Teil der Medikamente als Reimport aus dem Ausland bezogen werden soll, um Kosten zu sparen.
Zum Vorschlag von CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben, einen Entschädigungsfonds einzurichten, meinte Woidke, er schließe das nicht aus, doch gelte hier in erster Linie das Verursacherprinzip, und Verursacher sei nun einmal Lunapharm. Es müsse geklärt werden, ob es Patienten gebe, die gesundheitliche Schäden erlitten. Nichts sei so wichtig, wie die Wiederherstellung des Vertrauens der Menschen in die von den Apotheken angebotenen Medikamente.
Linksfraktionschef Ralf Christoffers zollte Golze »Respekt«. Als »unausweichlich« bezeichnete die Landtagsabgeordnete Ursula Nonnemacher (Grüne) den Rücktritt. Golze habe sich nicht der Demütigung einer Entlassung ausgesetzt, sagte Nonnemacher. Die Politikerin kritisierte die geringe Initiative des Gesundheitsministeriums, möglicherweise betroffene Patienten ausfindig zu machen, was auch in der Linksfraktion für Verstimmung sorgte. Insgesamt sei Golze aber eine gute Ministerin gewesen, sie habe viel Mitgefühl bewiesen, Ruhe bewahrt und zugehört, lobte Nonnemacher. Es gebe jetzt in Brandenburg keine funktionierende Medikamentenaufsicht mehr, beklagte sie. Die Mitarbeiter im Gesundheitsamt hätten sich »wegbeworben«, seien »in die innere Emigration gegangen«, sprächen nur noch über ihren Anwalt mit der Hausleitung oder hätten sich krank gemeldet.
Der Expertenbericht wurde am Dienstagnachmittag im Gesundheitsausschuss des Landtags debattiert. Golze nahm an diesem Treffen schon nicht mehr teil; sie wurde von Staatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt vertreten. Es wäre nicht gut, das Gesundheitsministerium jetzt völlig führungslos zu machen, kommentierte Woidke die Forderung nach Entlassung der Staatssekretärin. Immerhin sieht die Linksfraktion die politische Verantwortung bei der kompletten Hausleitung. Woidke mochte auch nicht sagen, ob der Leiter des Landesgesundheitsamtes seinen Posten verlieren wird. Darüber müsse man nachdenken. Man hüte sich jedoch vor vorschnellen Äußerungen, auf deren Grundlage man sich dann ohnehin regelmäßig vor dem Arbeitsgericht wiedersehe. Kommissarisch geleitet werde das Ministerium bis zur Berufung einer Nachfolgerin von Justizminister Stefan Ludwig (LINKE).
Die LINKE hält am Sozial- und Gesundheitsministerium fest. Damit hat sich die Idee eines Ringtauschs erledigt, bei dem die SPD das Ressort übernommen hätte. Die LINKE hätte dafür das Wirtschaftsministerium von Albrecht Gerber (SPD) erhalten. Gerber hat kürzlich angekündigt, sein Amt Mitte September aus persönlichen Gründen niederzulegen.
Offen bleibt, ob Golze die Funktion der LINKE-Landesvorsitzenden behält. Es sei heute nicht der Tag, darüber nachzudenken, erklärte am Dienstag ihre Co-Landesvorsitzende Anja Mayer. Die Partei will sich die notwendige Zeit nehmen, alles genau zu überlegen. Der Rücktritt als Ministerin bedeute nicht zwangsläufig den Rückzug von allen Funktionen, hieß es.
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