Sommerhitze

Von Lennart Levý

  • Lesedauer: 3 Min.

Einen Sommer lang stand ich vor ihm, jeden Tag. Manchmal mit den schönsten Blumen, an anderen Tagen mit den teuersten Pralinés, die ich mir leisten konnte, manchmal nur mit mir selbst, meinem reinen Herzen und der unsterblichen Liebe, die ich für ihn empfand.

Ich flüsterte ihm die schönsten, die liebevollsten Worte, die je ein Mensch sich erdachte, ins Ohr und hoffte auf eine, wenn auch nur eine kleinste, Reaktion, doch er regte sich nicht. Meine große Liebe, der Paternoster, man hatte ihn abgestellt, in den viel zu frühen Winterschlaf gezwungen, und egal, was immer ich auch sagte, ich war nicht in der Lage ihn zu erwecken.

Einst, zu Beginn, als ich zum ersten Mal dieses altehrwürdige Gebäude betrat und ihn zum ersten Mal erblickte, war es um mich geschehen und ich hatte mich verliebt in dieses liebreizende Gerät und schon nach kurzer Zeit blieb mir nichts anderes mehr übrig, als ihm einen Antrag zu machen, den er mit einem frohen, metallischen Brummen beantwortete, ohne auch nur eine Sekunde lang von selbst in eine Pause zu treten und jetzt hatte man ihn, meinen Liebsten, abgestellt, in den erzwungenen Urlaub geschickt, obwohl er doch von Tag zu Tag nichts lieber getan hat, als uns eine Hilfe zu sein, uns einen Vorteil gegenüber dem Lift und der schnöden Treppe zu bieten. Mit Liebe, mit Hingabe, ohne je etwas von uns dafür zu verlangen, außer, am Leben zu bleiben und uns dienen zu dürfen.

Tag für Tag hörte man auf den Gängen das Klagen der Belegschaft, mindestens zwei Monate lang dauerten die Trauerschreie der Verdammten an und bis ins Berghain konnte man ihr Wehklagen hören. Warum?

Warum war unsere große Liebe so eiskalt, ohne jedes Gefühl abgeschaltet worden, nachdem wir einst so lange für ihren Erhalt gekämpft haben? War der Strom so teuer, das Geld so knapp, die SED-Billiarden schlussendlich aufgebraucht? Antworten gab man uns keine, egal wie oft wir fragten. Auch keinen Ausblick hat man uns gegeben, wie lange dieser unhaltbare Zustand noch zu ertragen sei.

Jeden Tag, wenn ich heimkehrte, begannen die Tränen zu fallen, wenn ich daran dachte, dass ich am nächsten Tag vielleicht erneut das grausame Bild ertragen müsste. Nichts, rein gar nichts, schien in der Lage, die Leere in mir und die Leere in uns zu füllen, solange unsere Liebe tot in der Luft zu hängen hatte.

Doch letzte Woche war es vorbei. So plötzlich, wie es angefangen hatte, hatte es plötzlich wieder geendet, als wäre nie etwas gewesen und wir trauten uns schon längst nicht mehr nachzufragen, wie bei so vielen Fragen, die wir unser Eigen nannten. Die Liebe unseres Lebens lebte selbst wieder und wir hatten uns gefälligst darüber zu freuen, denn sie hatte uns unsere Hoffnung, die wir längst verloren glaubten, wieder gegeben. Aber eins sei gewiss: Vergessen werden wir diesen Sommer nicht, und wehe dem, der verantwortlich ist und Gnade ihm Gott, wir finden nie seinen Namen heraus! Für den Paternoster täten wir nämlich alles.

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