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- Landtagswahl in Bayern
Der liebste Feind
Die Grünen arbeiten sich im Landtagswahlkampf an der CSU ab, schließen aber eine Koalition mit ihr nicht aus
In Bayern regt sich Widerstand. Im Angesicht des drohenden Rechtsrucks und eines ausgeprägten Autoritarismus wurden in den letzten Monaten verschiedene Demonstrationen veranstaltet, die sich offensiv gegen die Politik der regierenden CSU wandten: Zunächst demonstrierten im Mai mehr als 30.000 Menschen gegen das restriktive Polizeiaufgabengesetz (PAG). Zwei Monate später zogen rund 50.000 Menschen unter dem Motto »ausgehetzt« durch die Landeshauptstadt und protestieren gegen die Asylpolitik der CSU, die vor allem Ministerpräsident Markus Söder und Bundesinnenminister Horst Seehofer zu verantworten haben.
Als Organisator dieser Proteste sind jeweils breite Bündnisse in Erscheinung getreten. Sie bestehen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien. SPD und Grüne spielten hierbei als größte Oppositionsparteien im Landtag eine wichtige Rolle. Doch wenige Wochen vor der Landtagswahl zeigt sich, dass sich die Mitwirkung an den Protesten offenbar nur für die Grünen ausgezahlt hat. Das legen zumindest die Umfragen nahe. Während der bundesweite Abwärtstrend der SPD auch in Bayern sichtbar ist und die Partei nicht über 12 bis 13 Prozent hinauskommt, könnten die Grünen zweitstärkste Kraft nach der CSU werden. Je nach Umfrageinstitut bewegen sie sich zwischen 14 und 17 Prozent. Angesichts dieser Zahlen hoffen die Grünen bereits auf einen historischen Erfolg in Bayern.
Doch nur auf den ersten Blick sieht bei den Grünen derzeit alles rosig aus. In Wahrheit stehen sie vor einem Dilemma. Die CSU wird nach der Wahl am 14. Oktober voraussichtlich einen Koalitionspartner benötigen. Und die Grünen sind trotz ihres Protests gegen die Landesregierung als künftiger Juniorpartner im Gespräch. Innerhalb der Partei wurde dieses Spannungsverhältnis immer wieder offensichtlich, selbst wenn es offiziell noch kaschiert wird.
Auf der einen Seite haben die Grünen zuletzt regelmäßig Avancen in Richtungen CSU gemacht. Es ist offensichtlich, dass sie gerne regieren und gestalten möchten. Beim Landesparteitag in Hirschaid erklärte Spitzenkandidat Ludwig Hartmann im Mai ganz offiziell, dass unter bestimmten Bedienungen eine Zusammenarbeit auf Regierungsebene denkbar sei.
Andererseits aber lehnen die Grünen fast alles rundheraus ab, was die CSU als ihre wesentlichen Ziele betrachtet. In der Asylpolitik treten die Konservativen für eine Begrenzung der Migration und schnelle Abschiebungen ein, die Grünen setzen dagegen auf liberale Vorstellungen mit einem Schwerpunkt auf Integration, der selbst bei einigen Asylhelfern Anerkennung findet.
In der Innen- und Sicherheitspolitik forciert die CSU mit ihrem PAG einen offenen Angriff auf Bürger- und Freiheitsrechte, wohingegen die Grünen eine weitere Verschärfung vehement ablehnen und gegen das Gesetz klagen, das der ganze Stolz der CSU ist. Gravierende Differenzen wie diese gibt es in vielen weiteren Feldern, ohne dass sich große Chancen auf eine Einigung abzeichnen würden.
Für eine mögliche Regierungsbildung würde das bedeuten, dass eine Zusammenarbeit allenfalls auf Basis von schmerzhaften Kompromissen möglich wäre. Es ist jedenfalls kaum realistisch, dass sich die beiden Parteien bei der Innen- und Sicherheitspolitik oder in der Asylpolitik auf genügend Gemeinsamkeiten einigen können, ohne dass ihre grundlegenden Prinzipien angegriffen werden. Zu groß sind die Differenzen, zu unterschiedlich die Politikvorstellung, als dass am Ende jeder zufrieden sein könnte. Außerdem zeigen die Erfahrungen aus der Bundespolitik, dass man sich auf Vereinbarungen mit der CSU längst nicht immer verlassen kann.
Nach den jüngsten Konflikten in Berlin sahen sich die Grünen sogar gezwungen, vorsichtig auf Distanz zu gehen. »Solange die CSU im AfD-Gewand herumläuft, ist eine Zusammenarbeit unvorstellbar«, sagte Hartmann damals dem »Bayerischen Rundfunk«. Das stehe im offenen Widerspruch zum verantwortlichen Handeln, das für die Partei maßgeblich sei. Ob es bei dieser Positionierung bleibt, ist jedoch mehr als fraglich - denn nach der Wahl könnte es nicht viele andere Optionen geben. Es ist gut möglich, dass die Grünen die staatspolitische Verantwortung als Rechtfertigung bemühen werden, wenn im Herbst in München eine Regierung gegen die AfD gebildet und eine Neuwahl verhindert werden soll. Man kennt dieses Erklärungsmuster auch von der SPD, die sich vor wenigen Monaten dazu entschieden hat, erneut in die ungeliebte Große Koalition einzutreten.
Langfristig könnte den bayerischen Grünen eine Koalition mit der CSU schweren Schaden zufügen. Zwar dürften nicht wenige Unterstützer der Partei auch die Hoffnung hegen, dass sie mäßigend auf den künftigen CSU-Regierungschef einwirken könnte. Aber das Risiko ist enorm, dass die Grünen in einer solchen Konstellation zum reinen Mehrheitsbeschaffer avancieren würden. Als Juniorpartner ist es immer besonders schwierig, das eigene Profil durchzusetzen. Die neu gewonnene Glaubwürdigkeit könnte dann schneller verspielt sein, als den Grünen lieb sein kann.
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