Brexit erreicht den Weltraum
Großbritannien reagiert auf den Ausschluss aus dem EU-Satellitensystem Galileo
Die konservative Regierung in London hat 92 Millionen Pfund Sterling (102 Millionen Euro) bereitgestellt, um mit der Entwicklung eines eigenen Satellitennavigationssystems (GNSS) zu beginnen. Zunächst soll eine Studie die Machbarkeit prüfen.
Die Ankündigung eines möglicherweise eigenen GNSS, dessen Kosten vorerst auf drei Milliarden britische Pfund geschätzt werden, erfolgte wenige Tage nach dem Start der letzten vier von 26 Galileo-Satelliten, mit denen die europäische Weltraumagentur ESA ihr zehn Milliarden Euro teures Satellitennavigationsnetz vervollständigte. Wie gewohnt waren die Raumflugkörper mit einer Ariane-5-Trägerrakete vom Startplatz Kourou im französischen Übersee-Département Französisch-Guayana in den Weltraum transportiert worden. Galileo ist seit Dezember 2016 bislang jedoch nur eingeschränkt in Betrieb.
Das ESA-System bietet vier Dienste für unterschiedliche Nutzergruppen an. Der wichtigste ist der offene Dienst (Open Service). Das Signal wird auf zwei Frequenzen ausgestrahlt und ermöglicht eine Positionsbestimmung, die bis auf ein Meter genau ist. Der kostenpflichtige kommerzielle Dienst (Commercial Service) ortet mit einer Genauigkeit von unter einem Meter. Er ist unter anderem für die Landwirtschaft oder die Logistikbranche sowie das autonome Fahren interessant. Hinzu kommen zwei verschlüsselte Dienste (Public Regulated Service und Galileo Search and Rescue Service). An all dem hat Großbritannien tatkräftig mitgearbeitet. Doch angesichts des beschlossenen Ausstiegs aus der EU hat die Gemeinschaft die Mitarbeit Großbritanniens eingefroren. Britische Unternehmen sollen keine Aufträge mehr für Galileo erhalten.
Die Europäische Kommission sieht in einer weiteren Beteiligung Großbritanniens an Galileo ein Sicherheitsproblem. Die EU bietet London lediglich einen sogenannten Standardzugang an, den auch andere Drittstaaten buchen können. Wenn der Brexit im März kommenden Jahres vollzogen ist, will man London keinen Zugriff mehr auf den Public Regulated Service ermöglichen. Dieser Dienst ist für sicherheitsrelevante Anwendungen gedacht. Nutzen sollen ihn unter anderem Behörden wie Polizei, Zoll, das Militär und Rettungsdienste.
Paul Everitt, Chef der Interessenvertretung der britischen Weltraum- und Verteidigungsindustrie, erinnerte dieser Tage daran, dass die Industrie seines Landes eine Schlüsselrolle bei der Schaffung des Galileo-Programms gespielt habe, mit der EU-Europa neben den von den USA, Russland und China betriebenen konkurrierenden Systemen eine gewisse Unabhängigkeit erlangen will.
In der Tat, Großbritannien investierte rund 1,4 Milliarden Pfund in das Galileo-System und will die Summe nun zurückfordern. In einer Erklärung hatte die britische Regierung noch Ende Juli betont, sie wolle Teil des Galileo-Programms bleiben. Vergeblich wies London auf mögliche Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen hin, die der EU durch den Ausschluss der britischen Industrie entstehen können. Doch zugleich hieß es in London, dass man ohne die Gewissheit, dass die britische Industrie jetzt und in Zukunft gleichberechtigt an Galileo mitwirken kann, und ohne Zugang zu den notwendigen sicherheitsrelevanten Informationen unter anderem zur Leitung militärischer Lenkflugkörper, verpflichtet sei, seine Teilnahme an dem Programm komplett zu beenden.
Die britische Regierung hatte - unabhängig vom eigenen geplanten Satellitennavigationssystem - bereits im vergangenen Monat auf der Luftfahrtmesse in Farnborough angekündigt, in der Grafschaft Sutherland im Norden Schottlands einen Startplatz aufzubauen, um selbstständig Raumfahrzeuge starten zu können. Dort sollen in den 2020er Jahren erstmals Raketen abheben und selbstverständlich auch in nationaler Verantwortung gebaut werden. Doch davon ist London derzeit noch so weit entfernt wie von den Sternen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.