Kellerkind des 20. Jahrhunderts

Als der Zweite Weltkrieg auch in Ostasien zu Ende ging, hofften Koreaner noch auf Unabhängigkeit

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Der 15. August 1945 war für die Koreaner ein Tag überbordender Freude. Mit der Kapitulation Japans endete eine 36-jährige äußerst brutale Kolonialherrschaft. Koreaner waren zu Hunderttausenden nach Japan verschleppt worden, um dort in Rüstungsfirmen, beim Straßenbau und in Bergwerken zu schuften. Das Gros der etwa 200 000 von der japanischen Soldateska während des Krieges zwangsrekrutierten Prostituierten in den Militärbordellen Ost- und Südostasiens sowie des Pazifik waren Koreanerinnen. Rasch folgten den Jubelfeiern helles Entsetzen und tiefe Ernüchterung. Nicht die Koreaner sollten künftig in Unabhängigkeit über ihr eigenes Schicksal entscheiden, wie es den während des antijapanischen Widerstandes landesweit entstandenen Volkskomitees vorschwebte, die sich aus Nationalisten, Sozialisten und Kommunisten zusammensetzten und in Seoul am 6. September 1945 die Volksrepublik Korea ausriefen.

Teilung am Reißbrett

Noch während des Krieges hatten sich die späteren Siegermächte, vor allem die USA und die Sowjetunion, darauf verständigt, Korea für einen Zeitraum von zumindest fünf Jahren gemeinsam treuhänderisch zu verwalten. Die Frage der Aufteilung der dortigen Interessenzonen wurde im Politischen Strategiekomitee des Kriegsministeriums buchstäblich über Nacht am Reißbrett entschieden - von General George A. Lincoln und den beiden Obristen Dean Rusk (von 1961 bis 1969 US-Außenminister) und Charles H. Bonesteel III. Unter Zuhilfenahme einer National-Geographic-Karte legten sie den 38. Breitengrad als Trennlinie zwischen dem Norden und Süden der Koreanischen Halbinsel fest. Nördlich davon sollte die Rote Armee und südlich davon sollten die US-Truppen über die Demobilisierung der japanischen Truppen wachen.

Mitte August 1945 hatten die US-Streitkräfte im Fernen Osten zeitgleich mit der Kapitulation Tokios den Generalbefehl Nummer Eins erlassen. Dieser sah die unmittelbare Entwaffnung der japanischen Truppen in Korea diesseits und jenseits des 38. Breitengrads durch das amerikanische und sowjetische Militär vor. Doch nur die Sowjetunion war zu der Zeit im Norden Koreas mit Truppen präsent. Die 25. Armee der Sowjetunion unter dem Befehl von Generaloberst Iwan M. Tschistjakow hatte die Kaiserlich-Japanischen Truppen von der Mandschurei aus bis auf die Koreanische Halbinsel zurückgedrängt und sich als Standort ihres neuen Hauptquartiers für Pjöngjang entschieden.

Während die Rote Armee tatsächlich am 38. Breitengrad Halt machte, landete erst am 8. September 1945 die 7. US-Infanteriedivision in Incheon an der Westküste Koreas. Die US-Besatzungstruppen unter Führung von General John R. Hodge nahmen von der kurz zuvor gebildeten Regierung der Volksrepublik Korea keine Notiz. Stattdessen stützte sich Hodge auf Kollaborateure der japanischen Kolonialverwaltung, die den Amerikanern fortan als Berater dienten. Die Menschen in der Hauptstadt Seoul staunten nicht schlecht, als an Stelle der koreanischen Flagge das Stars-and-Stripes-Banner gehisst wurde. Am 10. Oktober ernannte sich die US-amerikanische Militärregierung in Korea (USAMGIK) als einzig legitime Regierung.

Zerrissene Einheit

Als ein Mitte November 1945 tagender Kongress der Volksrepublik es ablehnte, sich selbst aufzulösen, erklärte General Hodge ihn kurzerhand für ungesetzlich. Auf Initiative der USAMGIK konstituierte sich Mitte Februar 1946 ein Parlamentarischer Demokratischer Rat, dessen Vorsitz dem zuvor aus den USA eingeflogenen Exil-Koreaner Rhee Syngman übertragen wurde. Obgleich er die koreanische Nachkriegsrealität nicht kannte, avancierte Rhee mit US-Rückendeckung zum strammen Gewährsmann ihrer Interessen.

Nördlich des 38. Breitengrads ließen die sowjetischen Besatzungstruppen unter dem Kommando des engen Stalin-Getreuen, Generaloberst Terenti F. Schtykow, die Volkskomitees weitgehend gewähren und rekrutierten aus ihnen jene Kräfte, die später für die zivile Verwaltung und militärische Sicherung des Nordteils verantwortlich wurden. Unter Schtykows Ägide wurde von Anfang an nur eine der zahlreichen antijapanischen Widerstandsgruppen protegiert, die von China oder der Sowjetunion aus beziehungsweise in Korea selbst gegen die Feindtruppen operiert hatten - nämlich eine Gruppe von Partisanen um Kim Il Sung.

Einen großen politischen und Propagandaerfolg gelang den neuen Machthabern im Norden im Frühjahr 1946, als sie eine weitgehende Bodenreform durchführten. Über eine halbe Million armer Bauern und Pächter profitierte davon; sie erhielten erstmals ein eigenes Stück Land. Zum Verdruss der alten Besitzer, die als einst willfährige Gefolgsleute Japans oder Kollaborateure des japanischen Militarismus in Nordkorea keine Zukunft für sich sahen und in großer Zahl in den Süden flüchteten.

Nicht nur vergrößerte sich zusehends die Kluft zwischen den politischen, wirtschaftlichen und Lebensverhältnissen in Nord und Süd. Auch die Vorstellungen der sowjetischen- und der US-Besatzungsmacht darüber, wie das Nachkriegskorea zu gestalten sei, klafften immer weiter auseinander. Galt im Norden eine gesamtkoreanische Perspektive als sakrosankt und hatten einst pro-japanische Kräfte dort keine Chance, die Politik zu bestimmen und die Wirtschaft zu dominieren, verhielt es sich im Süden umgekehrt. Dieser Entfremdungsprozess gipfelte darin, dass Rhee Syngman am 15. August 1948 in Seoul die Republik Korea ausrief und Kim Il Sung am 9. September 1948 im Gegenzug in Pjöngjang die Demokratische Volksrepublik Korea. raw

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