Weltoffen - für die CSU
Manfred Weber findet Kompromisse mit Autokraten und will Nachfolger Junckers werden. Von Peter Eßer
Ich möchte Brücken bauen«, kündigte der bayerische EU-Politiker Manfred Weber an. Der CSU-Vize und Fraktionsvorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei im EU-Parlament (EVP) trat am Mittwoch in Brüssel vor die Presse, um sich für das höchste politische Amt der Europäischen Union zu empfehlen: den Vorsitz der EU-Kommission. Er ist der erste, der sich offiziell dazu bekannt hat, die Nachfolge Jean-Claude Junckers antreten zu wollen. Sollte der Mann aus Niederbayern damit Erfolg haben, wäre er der erste Deutsche an der Spitze des Exekutivorgans der EU seit über 50 Jahren.
1972 geboren, begann Weber seine politische Karriere 2002 als damals jüngster bayerischer Landtagsabgeordneter. Zwei Jahre später wechselte er ins Europaparlament. Nach der Europawahl 2014 wurde er mit großer Mehrheit zum Vorsitzenden der EVP gewählt. Seit 2015 ist er »dahoam« außerdem einer von fünf Stellvertretern von CSU-Chef Horst Seehofer. In der CSU gilt Weber als ruhiger Gegenpol zu polternden Kollegen wie Seehofer, Ministerpräsident Markus Söder oder Generalsekretär Alexander Dobrindt. Anders als seine Parteigenossen sucht der EU-Politiker nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Opposition zu Kanzlerin Angela Merkel. Die konservativ-katholische Wählerbasis der CSU weiß er dennoch zu bedienen: Den umstrittenen »Kreuz-Erlass« von Ministerpräsident Söder etwa bezeichnete er als »richtigen Weg«. Europa sei schließlich christlich geprägt.
Weber gibt sich betont konservativ, der Nationalismus vieler seiner Gesinnungsgenossen geht ihm dennoch ab. Ob in der Flüchtlingsdebatte, bei Sicherheitsfragen oder beim Datenschutz - Weber plädiert für europäische Lösungen. Neben seinen bayerischen Parteigenossen erscheint er damit geradezu als weltoffen. Der Unterstützung seiner Partei für die Bewerbung um den Kommissionsvorsitz kann er sich indes sicher sein. In Bayern stehen Landtagswahlen an, die CSU steht unter Druck und Webers Kandidatur ist eine Gelegenheit, Einheit zu demonstrieren. Auch den Segen von Kanzlerin Merkel hat er.
Webers Bekanntheit in Deutschland hält sich bis dato in Grenzen - von anderen EU-Ländern ganz zu schweigen. In EU-Kreisen verfügt der Chef der größten europäischen Parteienfamilie jedoch über Einfluss und Ansehen. Als Brückenbauer hatte er sich dort schon einen Namen gemacht. Nach 14 Jahren im EU-Parlament verfügt er über Länder- und Fraktionsgrenzen hinweg über gute Verbindungen. Zudem ist seine EVP ein Sammelbecken teils sehr verschiedener politischer Strömungen, die es als Vorsitzender gilt, unter einen Hut zu bringen. Das Spektrum reicht von Zentrumspolitikern und Liberalen bis hin zu den strammen Rechtsaußen der Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.
Insbesondere die rassistischen, autoritären und anti-europäischen Auswüchse aus Budapest machten dem Zusammenhalt von Webers Truppe in der jüngeren Vergangenheit zu schaffen. Er setzte auf Kompromiss und Konfliktvermeidung, gratulierte Orbán brav zu seinen Wahlerfolgen und teilte dessen Mantra vom überlebenswichtigen Schutz der EU-Außengrenzen. Auf offene Kritik etwa an der ungarischen Blockadehaltung bei der Aufnahme von Flüchtlingen, an Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit, an der von Orbán selbst ausgerufenen »illiberalen Demokratie« verzichtete der EVP-Chef. Diese von Weber gebaute Brücke nach Budapest hat bislang zwar die EVP zusammengehalten, kommt aber längst nicht überall gut an. Er muss sich Kritik gefallen lassen, einen Autokraten zu hofieren. Zugleich gehört der CSU-Mann im EU-Parlament auch zu den lautstärksten Kritikern der rechtskonservativen Regierung in Polen. Allerdings ist die in Warschau regierende PiS auch kein Mitglied seiner EVP.
Kritiker halten Weber zudem seine mangelnde Regierungserfahrung vor. Seit Mitte der 90er Jahre wurden bis auf eine kurzzeitige Ausnahme ausschließlich ehemalige Staats- oder Regierungschefs zum Kommissionsvorsitzenden ernannt. Weber war lediglich Abgeordneter. Diese Kritik ärgert ihn. Er sei europapolitisch versiert wie kaum jemand und verfüge zudem als langjähriger Parlamentarier über demokratische Legitimation.
Ein weiterer, nicht unerheblicher Punkt: Weber spricht kein Französisch. Die Vorbehalte aus Frankreich gegenüber einem deutschen Kommissionspräsidenten sind groß. Ein Deutscher, der kein Französisch spricht? Non, merci!
Auch formal ist der Weg noch weit. Webers Bekundung ist eine Kandidatur für eine Kandidatur. Die EVP will ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019 auf dem Parteikongress am 8. November in Helsinki küren. Bis dahin werden voraussichtlich weitere europäische Konservative ihren Hut in den Ring werfen. Einer, der immer wieder genannt wird, ist der Finne Alexander Stubb. Im Gegensatz zu Weber war dieser zuvor Regierungschef und spricht fünf Sprachen.
Und dann ist da noch die Europawahl Ende Mai. Auch wenn es als nahezu sicher gilt, dass die EVP erneut als stärkste Fraktion daraus hervorgehen wird, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Staats- und Regierungschefs daraufhin den konservativen Spitzenkandidaten für den Posten des Kommissions-Chefs nominieren. Dennoch stehen die Chancen für Weber nicht schlecht.
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