- Wirtschaft und Umwelt
- Türkische Lira
Unbezahlbares Papier
Die Krise in der Türkei bekommen Unternehmen in vielen Branchen zu spüren
Das erste Opfer der Wirtschaftskrise ist ausgerechnet »Leman«. Die Satirezeitschrift, deren Name irgendwie an das türkische Wort für Zitrone, »limon«, erinnert, ist auf ein Miniformat geschrumpft. So passt sie schon, fast ohne zu knicken, in eine Hosentasche. Dort ist zusätzlicher Platz entstanden, weil die Geldbeutel immer schmaler werden. Chefredakteur Tuncay Akgün ist allerdings nicht sonderlich zum Lachen zumute. Die Printmedien befänden sich im Koma, meint er mit Blick auf die Krise. Weil es in der Türkei keine einheimische Papierindustrie mehr gebe, schlage der Wertverlust der Lira voll auf die Papierpreise durch. Diese hätten sich in diesem Jahr um rund 80 Prozent erhöht. Der Staat hingegen verdient gut daran, denn es sind 18 Prozent Mehrwertsteuer darauf zu entrichten.
Der Vorsitzende der Vereinigung der türkischen Verleger, Kenan Kocatürk sieht die Buchbranche ebenfalls in Gefahr. Vor allem kleinere und mittlere Verlage hätten große Probleme. Neben dem Papier kämen ja auch die technischen Geräte der Druckereien aus dem Ausland. Ein weiteres Problem sind laut Kocatürk die heftigen Kursschwankungen, weshalb die Papierhändler nun Vorauszahlungen verlangten. Bücher aus anderen Sprachen könnten nicht mehr übersetzt werden, weil Zahlungen für Autorenrechte zu teuer geworden seien. Zum Schuljahresbeginn könnten auch Schulbücher teilweise nicht mehr geliefert werden.
Haluk Hepkon vom Verlag Kirmizi Kedi (Rote Katze) meint, die Türkei werde zu einer »kulturellen Wüste«. Die Preise für Papier seien ja nicht nur in Lira gestiegen, sondern auch in Euro gerechnet. Eine Tonne Papier, die vor einem Jahr um die 750 Euro kostete, kostet nun mehr als 900 Euro. Die Papierimporte sind um drei Fünftel eingebrochen. Große Verlage hätten sich rechtzeitig mit Papier eingedeckt, die kleinen konnten das nicht. Es sind gerade die vielen kleinen Verlage, die den sehr vielfältigen Buchmarkt der Türkei ausmachen, die unter der Krise litten.
Nicht nur die Kosten steigen, auch fehlt es den Kunden an Geld. Zum Monatsbeginn wurden Strom und Gas um neun Prozent teurer. Dabei ist die letzte Erhöhung in gleicher Höhe gerade erst einen Monat her. Auch die Heizölpreise sind gestiegen. Und Mehl ist in nur einem Monat um 20 Prozent teurer geworden.
Es leiden natürlich nicht nur Printmedien und Verlage. Ende August musste eine der großen Schuhketten Gläubigerschutz beantragen; das Unternehmen Hotic unterhält in der Türkei 150 Filialen. Der größte Telekomkonzern, Türk Telekom, wurde bereits von drei Banken übernommen, bei denen er verschuldet war.
Türk Telekom ist ein Beispiel dafür, wie ein einst sehr profitables Staatsunternehmen nach seiner Privatisierung unter die Räder gekommen ist beziehungsweise von seinen neuen Eigentümern aus dem Libanon und Saudi-Arabien ausgenommen wurde. Die regierende AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat dem jahrelang tatenlos zugesehen. Im Aufsichtsrat des Konzerns saß seit 2014 ein gewisser Yiğit Bulut. Selbiger hatte während der Gezi-Proteste im Fernsehen erklärt, es sei die Aufgabe der Polizei, den Demonstranten die Schädel einzuschlagen. Außerdem verkündete Bulut, fremde Mächte wollten Erdoğan mittels Telekinese ermorden. Daraufhin ernannte Erdoğan ihn zu seinem Chefberater und kurz darauf bekam er auch den Posten bei Türk Telekom.
Auch die Papierknappheit hängt mit einer fragwürdigen Privatisierung zusammen. 1934 gründete Atatürks junge Republik in Izmit unweit von Istanbul die Papierfabrik SEKA. Sie blieb die einzige, wohl auch weil der Staat sein Monopol behalten wollte. 1998 wurde SEKA dann privatisiert - und sieben Jahre später dichtgemacht. Durch die damals reformfreudige Politik Erdoğans und die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der EU war der Kurs der Lira gestiegen, die oft zitierte Verdreifachung des Wohlstands der Türkei auf Dollar-Basis unter Erdoğan geht zum großen Teil auf diesen Effekt zurück. Mit dem billigen Importpapier konnte SEKA nicht mehr konkurrieren. Es wären Investitionen notwendig gewesen, aber die Eigentümer zog es in andere Branchen wie die boomende Bauindustrie. Die 5000 Arbeiter besetzten zusammen mit ihren Familien die Fabrik, bauten sich in den Hallen Häuser aus Papier. Tuncay Akgün von »Leman« kann sich noch gut an die Besetzung erinnern. Damals fuhr er hin, um die Arbeiter zu unterstützen. Das war weitblickend, geholfen hat es leider nicht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.