Kunst oder Weltraumschrott?

Satelliten-Skulptur soll im All fliegen - Wissenschaftler sind verärgert

  • Johannes Schmitt-Tegge, Reno
  • Lesedauer: 3 Min.

Unter Wasser, in der Wüste, im Gletschereis: Künstler wagen sich mit ihren Arbeiten mitunter in schwer zugängliches Terrain. Trevor Paglen will noch einen Schritt weiter - und höher. Sein spiegelnder, schillernder Satellit »Orbital Reflector« soll Mitte November in die Umlaufbahn der Erde starten. 580 Kilometer über der Erdoberfläche soll die Skulptur fliegen und das All in ein Freiluftmuseum für Erdbewohner verwandeln. Wissenschaftler sind verärgert und warnen vor unnötigem Weltraumschrott.

Mehr als 1800 Satelliten kreisen nach UN-Angaben derzeit um den Planeten, allein 2017 wurden gut 550 neue Objekte angemeldet. Sie sammeln Wetterdaten, helfen beim Navigieren oder spionieren feindliche Ziele aus. Sie steuern den Schiffsverkehr oder stimmen die Zeit in Stromnetzen, Banken und Computernetzwerken ab. Anders »Orbital Reflector«: Der Satellit ist als »rein künstlerische Geste« gemeint und »dient keinen militärischen, kommerziellen oder wissenschaftlichen Zwecken«, heißt es in einem Video. »Es ist in vielfacher Weise das Gegenteil jedes Satelliten, der je in die Umlaufbahn gesetzt wurde.«

Genau diese Zweckfreiheit lässt einige Astronomen aufstöhnen. Als im Januar ein Spiegelball namens »Humanity Star« ins All gesetzt wurde - auch als Kunstobjekt - , fürchteten einige um die Genauigkeit ihrer Messungen. »Es ist die Weltraumentsprechung einer neonfarbenen Werbetafel direkt vor deinem Schlafzimmer«, sagte Astrophysiker Jonathan McDowell vom Center for Astrophysics, das von der Harvard-Universität und der Smithsonian Institution betrieben wird. Das Onlinemagazin »Gizmodo« forderte: »Hey Künstler, hört auf, glänzenden Scheiß ins All zu setzen.«

Doch Paglens »glänzender Scheiß« könnte manche Weltraumenthusiasten in Verzückung versetzen. Sofern die US-Behörde FCC (Federal Communications Commission) den Start zulässt, soll eine »Falcon 9«-Rakete von Elon Musks Unternehmen SpaceX als Taxi in den Orbit dienen, wo sich ein 30 Meter langer, diamantenförmiger Ballon öffnen soll. Dessen spiegelnde Oberfläche würde Sonnenlicht auch auf die Schattenseite der Erde werfen und könnte ohne Teleskop am Nachthimmel sichtbar sein. Ein Spendenaufruf brachte Paglen und dem Nevada Museum of Art, das das Projekt unterstützt, 76 000 Dollar ein - ein Bruchteil der Gesamtkosten von 1,3 Millionen Dollar.

»Dieses Projekt steuert nichts bei, was wir nicht schon haben«, schrieb Wissenschaftler Mark McCaughrean von der Europäischen Weltraumorganisation ESA bei Twitter. »Viele Menschen würden ein bisschen mehr Ehrfurcht vor der natürlichen Welt schätzen statt noch eine weitere künstliche Konstruktion hinzuzufügen«, sagt Caleb Scharf, Direktor des Columbia Astrobiology Center in New York dem Magazin »Atlantic«. Der Nachthimmel sei wie ein »bedrohtes Tier, das sich am besten im Naturzustand betrachten lässt«.

Paglen sieht nicht ein, warum ausgerechnet sein Satellit unter Hunderten das Problem sein soll. Weil die Skulptur nach einigen Wochen in die Atmosphäre eintreten und verglühen soll, würde sie »keine Spuren hinterlassen«. Auf der Website ist von einer »vorübergehenden Weltraumgeste« die Rede. Paglan will dazu ermuntern, mit »neuer Verwunderung in den Nachthimmel zu blicken, unseren Platz im Universum zu prüfen und neu darüber nachzudenken, wie wir auf diesem Planeten zusammenleben.« Wenn Kunst auf der Erde keinem Zweck dienen muss außer sich selbst, sollte das nicht auch im All gelten?

Schon Russlands Avantgardekünstler Kasimir Malewitsch (1878-1935), von dem Paglen sich inspirieren ließ, träumte von einem »Sputnik« zwischen Mond und Erde. Die Raumfahrt wird zunehmend privatisiert und das Verständnis, was ins All gehört und was nicht, wandelt sich. Vom einem Nutzen für die Menschheit konnte bei Musks Elektrosportwagen, den er im Februar mit seiner Rakete Falcon Heavy ins All schickte, schließlich auch keine Rede sein.

»Wer entscheidet, was gefährlich und was nützlich ist, was Müll und was Schatz?«, fragt NASA-Stipendiatin Lisa Ruth Rand. Ein Startverbot könnte Künstler auf die Barrikaden treiben, eine Genehmigung Freifahrtschein für weitere Kunstprojekte sein. dpa/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.