William Saroyan (1960)
Unbekannte Bekannte
Wo er gewesen sei? »Irgendwo auf dem Lande«, hatte Wiliam Saroyan mir lächelnd erwidert - worauf er nicht weiter einzugehen brauche, da er schließlich seinen Hotelaufenthalt in Berlin und die fünf folgenden Tage in der DDR aus eigener Tasche bestritten habe. Sein allzu spätes Erscheinen beim Kongress, könne man nicht ihm, sondern allenthalben mir vorwerfen. »Sorry, that’s how I see it«.
Was schwerlich zu bestreiten war. Da mochte sich der Vorzeigedichter Kurt Barthel, der sich KuBa nannte und Mitorganisator des Schriftstellerkongresses war, außer sich zeigen und mich fragen, wie in drei Teufels Namen die Panne mit diesem Amerikaner passieren konnte. Es half nichts - die Antwort musste ich ihm schuldig bleiben. »Sieh wenigstens zu, dass Saroyan sich auf der Bühne zeigt und dort ein paar nützliche Worte von sich gibt«, forderte er mich auf - und geriet dann vollends außer sich, als der Mann lässig-kalifornisch hinters Mikrophon trat und verkündete: »I’m William Saroyan and I greet you all« und dann prompt wieder abtrat.
Walter Kaufmann, 1924 als Jizchak Salomon Schmeidler in Berlin geboren, floh 1939 nach England, lebte ab 1940 in Australien und kam 1956 in die DDR. Er arbeitete als Landarbeiter, Straßenfotograf und Seemann und hat das Erlebte schreibend dokumentiert. Im vergangenen Jahr veröffentlichte »nd« den ersten Teil einer Porträtreihe, in der sich Walter Kaufmann an Menschen erinnert, die seinen Weg kreuzten. Jetzt setzen wir die kleine Serie fort. Foto: nd/Burkhard Lange
»Das soll’s gewesen sein, nach all unserem Aufwand!« hielt mir KuBa vor - worauf ich ihm sagen musste: »Saroyan hat sogar sein Einreisevisum selbst bezahlt, von den Reisekosten ganz zu schweigen - und auch die knappe Woche, die er durch die DDR reiste, gingen auf seine Kosten«. »Tatsächlich?« sagte KuBa. »Tatsächlich«, versicherte ich ihm.
Und dann, als ich vier Jahre später rein zufällig in einem New Yorker Kiosk ein Story-Magazin erstand, bekam ich - sieh an! - eine Erzählung von William-Saroyan zu lesen, die seinen besten Arbeiten nicht nachstand. Es ging um eine schöne, recht dralle LPG-Bäuerin im Thüringischen. Saroyan hatte ihr den Namen Ursula gegeben und sie so sinnlich beschrieben - Busen, Hüften, Beine - sie so unverwechselbar in ihrer lebensfrohen Art und sehr eignen Fraulichkeit vorgestellt, ich konnte nur denken, die hat es wirklich gegeben, der wird er begegnet sein, die wird ihn ferngehalten haben vom Kongress, und ihn - was Wunder, er war eine gut aussehende, sehr männliche Erscheinung - in ihre Arme gelockt, und in ihr Bett. Die Erfüllung, die sie dem Mann aus dem kalifornischen Fresno beschert hatte, wird in ihm jeden Gedanken an Weimar verdrängt haben. Zu unser aller, nicht bloß zu KuBas Nachsehen.
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