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Gewerkschafter unterstützen Aufstehen
Gestandene Aktivisten setzen große Hoffnungen in die Initiative von Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht
Noch weiß niemand, wie hoch der Anteil engagierter Gewerkschafter unter den weit mehr als 110.000 Menschen ist, die auf der Internetplattform von »Aufstehen« bislang ihre Kontaktdaten eingegeben und damit bekundet haben, dass sie »Teil der Bewegung« werden möchten. Ein erster Überblick lässt aber den Rückschluss zu, dass etliche gestandene Gewerkschafter in der Initiative für eine Sammlungsbewegung eine große Chance sehen.
So finden sich unter den Unterstützern neben Ex-IG-Medien-Chef Detlef Hensche und der aus Talkshows und einem Schlagabtausch mit Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel bekannten, selbstbewussten Putzfrau Susi Neumann auch weitere DGB-Gewerkschafter, die aus ihrer Erfahrung heraus verstehen, dass Einheit und Masse wichtige Voraussetzungen für den Erfolg einer Bewegung sind. Viele der im Gründungsaufruf enthaltenen Punkte - vom Kampf gegen Leiharbeit über Arbeitszeitverkürzung und »anständige Renten statt Riester-Abzocke« bis zur Forderung nach Privatisierungsstopp und Wiederverstaatlichung - sind in linken Gewerkschafterkreisen längst tägliches Brot.
Zu den knapp 100 Initiatoren, die namentlich auf der Website vorgestellt werden, gehört Erman Oran, der bei der Gewerkschaft IG BAU in Köln Beschäftigte im Gebäudereiniger-Handwerk betreut. »Es kann nicht sein, dass für immer mehr Menschen, die ihr ganzes Leben lang hart arbeiten, nur die Perspektive Altersarmut bleibt«, erklärt er. Für »spürbar höhere Löhne und Renten, von denen die Menschen auch gut leben können, müssen wir gemeinsam aufstehen und Druck machen«, lautet seine Überzeugung.
Mit an Bord ist auch Wolfgang Räschke, Erster Bevollmächtigter der IG-Metall-Geschäftsstelle Salzgitter-Peine (Niedersachsen). Auf dem letzten Gewerkschaftstag hat er bei der Antragsberatung um klare linke Standpunkte gekämpft. Der Metaller hat sich nach eigenen Angaben im Sommer zum Mitmachen entschlossen und will nicht zusehen, »wie Stimmung gegen Sahra Wagenknecht aufgebaut wird und eine Spaltung droht«. Die Ereignisse von Chemnitz, Sozialabbau und prekäre Jobs unterstrichen, dass dieses Land eine starke Gegenbewegung gegen Sozialabbau brauche. »Wir müssen einen Gegenpunkt setzen, bestehende Ängste aufgreifen, die Diskussion beginnen und kleinlichen Streit vermeiden«, erklärt Räschke. »Wenn wir es nicht versuchen, dann haben die anderen auf jeden Fall gewonnen«, so der Gewerkschafter, der im Gründungsaufruf viele gewerkschaftliche Forderungen erkennt. »Wir haben die Chance, Parteilose anzusprechen, die sich auf absehbare Zeit in keiner Partei engagieren wollen«, hofft er.
Zu den Unterstützern gehört auch Rainer Einenkel. Der gelernte Starkstromelektriker war von 2004 bis zur Schließung im Jahre 2015 Betriebsratsvorsitzender im Bochumer Opel-Werk. Bis zum heutigen Tage engagiert er sich in einem Gerichtsverfahren mit dem Ziel, den Aufsichtsratsbeschluss über die Stilllegung des Bochumer Werks aufgrund unzureichender Informationen für nicht rechtmäßig erklären zu lassen. Einenkel hat in sozialen Netzwerken festgestellt, dass auch etliche andere ehemalige Opelaner und Gewerkschafter aus dem Ruhrgebiet »Aufstehen« unterstützen, und hofft auf den Aufbau einer Plattform, in der sich linke und fortschrittliche Kräfte sammeln.
Mit dabei ist auch der Frankfurter Jürgen Hinzer, der sich schon als Teenager in den 1960er Jahren einmischte. »Derzeit erleben wir den größten Rechtsruck in meinem Leben und dem müssen wir etwas entgegensetzen«, sagt er. Drei nahe Verwandte hätten sich ebenfalls bei »Aufstehen« eingetragen, freut er sich. »Wir müssen darüber reden, was uns eint, und nicht darüber, was uns trennt«, teilt Hinzer mit. Er hat ein Leben lang für die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Arbeitskämpfe initiiert. Auch im Ruhestand engagiert er sich für internationale Solidarität, so etwa mit streikenden Madrider Coca-Cola-Arbeitern. Anfang Oktober wird er den Protest deutscher Nestlé-Beschäftigter vor dem Konzernsitz in Vevey (Schweiz) begleiten. Der Gewerkschafter ist LINKE-Mitglied und möchte, dass »Aufstehen« eine Plattform wird und keine Partei. Weil nach seiner Überzeugung »die Presseerklärung nicht die höchste Kampfform der Arbeiterbewegung ist«, rät er seiner Partei, sich stärker in Betrieben zu verankern. Er hat den LINKE-Bundesparteitag im Juni verfolgt und bemängelt, »dass dort zwar leidenschaftlich über Flüchtlingspolitik gestritten wurde, aber keiner sich zu einer Solidaritätsresolution mit dem französischen Eisenbahnerstreik aufgerafft hat«.
Hinzer sieht bei »Aufstehen« Parallelen mit der Anfang 1997 von Unterzeichnern der »Erfurter Erklärung« angestoßenen Bewegung, die unter anderem auch vom damaligen Thüringer DGB-Landeschef Frank Spieth und dem heutigen Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow initiiert wurde. Der Appell richtete sich in der Endphase der Ära von Kanzler Kohl an SPD, Grüne und PDS mit der Forderung, sich zusammenzuraufen und gemeinsam für soziale Demokratie und einen Politikwechsel einzutreten. Ein Jahr später wurde Kohl abgewählt und erstmals eine Bundesregierung ohne Union oder FDP gebildet. Doch der erhoffte »Politikwechsel« blieb unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder aus. Die von starker Enttäuschung ausgelöste Erosion der SPD-Mitglieder- und Wählerbasis hält bis heute an. Darin sehen die Initiatoren von »Aufstehen« jetzt offensichtlich einen günstigen Nährboden für ihr Projekt.
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