SPD-Linke fordern Ende der Koalition

Andrea Nahles hat der Beförderung von Hans-Georg Maaßen zugestimmt und gerät deswegen intern unter Druck

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Führende Politiker der SPD hatten in den vergangenen Tagen vehement darauf gedrängt, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zu entlassen. Nun haben die Spitzen der Großen Koalition am Dienstagabend entschieden, dass er stattdessen Staatssekretär im Bundesinnenministerium wird. Viele Sozialdemokraten reagierten entsetzt auf diese Entscheidung, an der neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) auch die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles beteiligt war, weil dies eine faktische Beförderung für Maaßen bedeutet.

Die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des linken SPD-Vereins Forum DL 21, Hilde Mattheis, erklärte, dass mit dieser Entscheidung das Vertrauen in Politik, Rechtsstaat und Beamte zerstört werde. »Dieses Vertrauen zerstören wir weiter, wenn wir die Entscheidung so stehen lassen, wenn die SPD jetzt einfach sagt, dann machen wir weiter, als sei nichts gewesen«, monierte Mattheis. Die SPD dürfe nun keine Angst vor dem Bruch der Großen Koalition haben. »Wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen und darauf hoffen, dass Horst Seehofer im Oktober von den eigenen Leuten abgesetzt wird«, erklärte sie mit Blick auf die schlechten Umfragewerte der CSU vor der bayerischen Landtagswahl.

Maaßen war unter anderem deswegen in die Kritik geraten, weil er in einem Interview die rechtsradikalen Hetzjagden in Chemnitz relativiert hatte.

Noch deutlicher als Mattheis sprach sich der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow für ein Ende der Großen Koalition aus. »Die Grenze des Zumutbaren ist nicht erreicht, sondern überschritten worden«, erklärte er. Bülow kritisierte seine Partei dafür, dass sie sich einmal mehr unglaubwürdig und zum Handlanger einer Regierung mache, »die von Seehofer am Nasenring durch die Manege gezogen wird«. Am schlimmsten daran sei, dass die Beförderung von Maaßen auch noch gerechtfertigt, teilweise schöngeredet werde. »Wer von den SPD-Ministern sich mit Maaßen an den Kabinettstisch setzt, der rechtfertigt dessen Handeln und der verliert seine Haltung und Glaubwürdigkeit«, so Bülow. Die Partei müsse sich verweigern und diese Koalition dürfe nicht weitergeführt werden.

Andere Sozialdemokraten wollen zwar keinen schnellen Bruch mit der Union, sie sind aber sehr unzufrieden mit dem Verhalten von Nahles, der intern eine »einsame Entscheidung« vorgeworfen wird. Auch Mitglieder der Parteispitze sind empört. »Ich gehe davon aus, dass unsere Regierungsmitglieder im Kabinett die nicht akzeptable Entscheidung des Bundesinnenministers nicht mittragen«, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Natascha Kohnen dem »Tagesspiegel«. Der bayerische Landesverband von Kohnen hat diese Forderung auch schriftlich an Nahles gerichtet.

Offensichtlich lagen bei dem Treffen am Dienstagabend mehrere Optionen auf dem Tisch. Nach Berichten soll Seehofer zunächst angeboten haben, Maaßen zum Chef des Bundeskriminalamts zu machen und den als SPD-nah geltenden jetzigen BKA-Chef Holger Münch an die Spitze des Verfassungsschutzes zu berufen. Nahles habe diese Lösung aber abgelehnt.

Die Krise der SPD, die in fast allen Umfragen unter 20 Prozent der Stimmen liegt, dürfte sich nach der Beförderung von Maaßen noch verschärfen. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, dass er Parteiaustritte für wenig zielführend halte, weil sie wirkungslos verpufften. »Aber um mal ein Stimmungsbild zu spiegeln: Vor dem Willy-Brandt-Haus kann man sich heute von verstörten Ex-Mitgliedern persönlich die Austrittsschreiben aushändigen lassen«, berichtete Kühnert.

Am Mittwochnachmittag äußerte sich Nahles in einem Brief an die knapp 460 000 SPD-Mitglieder. »Die SPD sollte diese Bundesregierung nicht opfern, weil Horst Seehofer einen Beamten anstellt, den wir für ungeeignet halten«, heißt es in dem Schreiben, das der dpa vorliegt. »Europa steht vor einer Zerreißprobe, es droht ein Handelskrieg mit den USA, die Situation um Syrien erfordert unser ganzes diplomatisches Geschick. Deswegen ist für die SPD wichtig, dass wir eine handlungsfähige Bundesregierung behalten«, so Nahles.

Durch die Entscheidung der Koalitionsspitzen gerät nicht nur die SPD-Chefin unter Druck. Auch die Autorität Merkels dürfte einen Schaden erlitten haben. Mit seinen Äußerungen zu Chemnitz hatte Maaßen der Kanzlerin widersprochen. Merkel hatte die Hetzjagden auf vermeintliche und tatsächliche Migranten in der sächsischen Stadt verurteilt.

Dass Maaßen nun nicht in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde, liegt auch daran, dass er in der Union viele Fürsprecher hat. Nicht nur Seehofer hatte sich hinter den bisherigen Geheimdienstchef gestellt. Im schwelenden Machtkampf zwischen Merkel und Seehofer scheint der Bayer nun erneut das bessere Ende für sich zu haben. Auch er hatte sich zu den Demonstrationen und Gewalttaten in Chemnitz anders als die Kanzlerin positioniert. So äußerte Seehofer grundsätzlich Verständnis für die »Empörung« der Einwohner, weil in der Stadt ein Mensch erstochen wurde.

Trotzdem ist die politische Zukunft von Seehofer alles andere als sicher. Denn er ist auch Vorsitzender der CSU und wird wohl, wenn sich die Umfragen bewahrheiten sollten, Mitte Oktober nach der Landtagswahl den Verlust der absoluten Mehrheit für seine Partei rechtfertigen müssen.

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