Mieser Wettkampf um den markigsten Spruch

Der Landtag debattiert den Lunapharm-Skandal. Dabei schürt die Opposition bei den Patienten Ängste - findet die neue Gesundheitsministerin

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Landtagsabgeordnete Björn Lüttmann (SPD) macht es am Donnerstag kurz. Bereits am Mittwoch habe es im Parlament eine breite Aussprache zum Pharmaskandal gegeben. Die neue Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij (LINKE) habe dargestellt, wie sich sich die Aufklärung vorstellt. Zwölf neue Stellen für die Medikamentenaufsicht im Ministerium und im Landesgesundheitsamt seien beschlossen. »Ich glaube, damit ist alles gesagt. Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.« Mit diesen Worten räumt Lüttmann das Rednerpult schon nach einer Minute.

Reihum dürfen die Fraktionen das Thema der aktuellen Stunden im Landtag bestimmen. Die AfD war dran und wählte den Lunapharm-Skandal. AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz erhält als erster das Wort. Die Ende August zurückgetretene Gesundheitsministerin Diana Golze (LINKE) habe die Gesundheit der Patienten fahrlässig aufs Spiel gesetzt, schimpft er einerseits, nimmt aber andererseits die Pharmabranche in Schutz, die einen Pauschalverdacht nicht verdient habe. Weil die Medikamentenaufsicht nicht mehr arbeitsfähig sei, stünden Exportberechtigungen und damit Arbeitsplätze auf dem Spiel. Kalbitz spricht von einem Staatsversagen.

Das lässt ihm der Abgeordnete Rainer Nowka (CDU) nicht durchgehen. Gemeint sei ja wohl ein Systemversagen. Doch das System habe nicht versagt. Die von der AfD gern als »Lügenpresse« verunglimpften Medien, konkret der öffentlich-rechtliche Rundfunk rbb, haben als vierte Gewalt im Staate den Skandal aufgedeckt, erinnert Nowka. Die Oppositionsfraktionen CDU und Grüne »haben für Aufklärung gesorgt«. Jeder habe seine Rolle gespielt. Das System habe insofern funktioniert. »Skandale passieren.« Das spielt Nowka keinesfalls herunter. Er kritisiert das Gesundheitsministerium scharf, weil es die Lunapharm GmbH zu lange gewähren ließ. Nach bisherigen Erkenntnissen lieferte die GmbH mit Sitz in Blankenfelde-Mahlow in Griechenland gestohlene und möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente an deutsche Apotheken. Für Hinweise auf kriminellen Machenschaften - die Tipps kamen aus Warschau und Athen - habe es in der »heilen Welt« des Gesundheitsressorts keinen Platz gegeben. Das Ausmaß des illegalen Arzneimittelhandels habe mit der Personalausstattung der Medikamentenaufsicht nicht zusammengepasst. »Prüfer durften nicht mit Rückendeckung rechnen, wenn ihre Prüfungen zu Ärger mit den überprüften Firmen führten«, beklagt Nowka.

»Ich bin 24 Stunden im Amt«, schaltet sich die neue Gesundheitsministerin Karawanskij verblüfft in die Debatte ein. 100 Tage Schonfrist sind üblich. »Nach meinem mathematischen Verständnis hätte ich noch 99 Tage«, stellt Karawanskij fest. »Ich bin verwundert über den Ton der Auseinandersetzung, der hier herrscht.« Es sei das gute Recht der Opposition, kritisch nachzufragen und die Regierung zu kontrollieren. Aber sie hoffe, dass allen am Wohl der Patienten gelegen sei. Ein Wettbewerb um den »markigsten Spruch« verbiete sich hier eigentlich. Es sei eine »schäbige Nummer«, Ängste zu schüren, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

»Viele Patienten sind angesichts des Lunapharm-Skandals noch immer verunsichert«, weiß Karawanskij. Sie hat zugesichert, dass die Sicherheit dieser Menschen für sie oberste Priorität habe. Schließlich habe sie bei ihrer Vereidigung als Ministerin geschworen, die Bevölkerung vor Schaden zu bewahren, erinnert Karawanskij.

Im Labor sind vorschriftsmäßig zurückgehaltenen Muster der gestohlenen Arzneimittel untersucht worden. Nach den inzwischen vorliegenden Testergebnissen sind die Krebsmedikamente einwandfrei gewesen. Das Gesundheitsressort schlussfolgert: »Die Wahrscheinlichkeit, dass Patientinnen und Patienten dem Risiko einer gesundheitlichen Schädigung ausgesetzt waren, ist damit sehr gering, kann aber gleichwohl nicht völlig ausgeschlossen werden.«

Die Abgeordnete Ursula Nonnemacher (Grüne) sagt, wo das Übel an der Wurzel gepackt werden müsste. Medikamente sind in Deutschland sehr teuer. »Die deutsche Pharmabranche ist hochprofitabel.« Allein im ersten Quartal 2018 hätten sich die Ausgaben für Arzneimittel in der Bundesrepublik auf 9,6 Milliarden Euro summiert. Die 250 umsatzstärksten, patentierten Medikamente seien in Deutschland 1,5 Milliarden Euro teurer als in acht anderen EU-Staaten. Auf den Preisunterschied reagierte die Bundespolitik, indem sie die Apotheken zwang, fünf Prozent ihres Umsatzes mit sogenannten Reimporten zu machen. Es werden in Deutschland entwickelte und hergestellte Medikamente aus dem Ausland eingeführt, um die Kosten der Krankenkassen zu senken. Aber die langen Transportwege und umständlichen Geschäfte sind ein Einfallstor für Kriminelle.

Doch auch die legalen Methoden sind äußerst fragwürdig. Nonnemacher ist von Beruf Ärztin. Sie kennt sich aus. Die Forschung konzentriere sich auf Krankheiten, bei denen es sich für die Pharmaindustrie lohnt. Betriebswirtschaftlich ergebe dies Sinn. Doch Patienten, die an seltenen Krankheiten leiden, haben das Nachsehen. Ebenso verhalte es sich mit Krankheiten, die in Dritte-Welt-Ländern grassieren. Weil die dortige Bevölkerung nicht zahlungskräftig ist, zeigt die Pharmaindustrie kein Interesse, Medikamente gegen diese Leiden auf den Markt zu bringen. Nach Ansicht von Nonnemacher sollte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) keine Lobbyrunden mit den Pharmariesen veranstalten, sondern Krankenkassen und Patienten mit an den Tisch holen.

Auch die Abgeordnete Andrea Johlige (LINKE) spielte mit dem Gedanken, sich so wie der SPD-Politiker Lüttmann kurz zu fassen. Mit der am Mittwoch veröffentlichten Endfassung des Berichts einer unabhängigen Expertenkommission sieht sie dann aber doch Stoff genug, etwas mehr zu sagen. Es gehe nicht nur darum, schuldige Personen zu finden, es müssten auch strukturelle Defizite behoben werden. Die Politik müsse jetzt sehr genau hinschauen, ob es auch bei der Fachaufsicht über andere Lebensbereiche Probleme gebe. Da müsse personell eventuell aufgestockt werden. Man dürfe nicht an der falschen Stelle sparen.

Nach bisherigen Erkenntnissen sind in Brandenburg mindestens elf Patienten mit Arzneimitteln aus den zurückgerufenen Chargen behandelt worden, die Lunapharm aus Griechenland bezogen hat.

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