Abschwimmen 2018

  • Christof Meueler
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Haselnüsse und Blätter im Becken liegen, dann ist im Kreuzberger Prinzenbad Zeit zum »Abschwimmen«. Der letzte Öffnungstag des Jahres wird hier traditionell mit einem kleinen Buffet begangen - in einem der angenehmsten Schwimmbadcafés der Stadt.

Dort arbeiten sehr nette Leute. Sie haben selbstgebackenen Kuchen, Fassbrause, verschiedene Biere und circa 35 Teesorten im Angebot. Selbstverständlich geht es politisch korrekt zu, was ja gar nichts Schlechtes ist - auch wenn das eine große Koalition Geschmacksverirrter von links bis rechts seit einem Vierteljahrhundert behauptet.

Vor mir steht ein mittelalter Mann und möchte »bitte einen Kaffee und einen Mohrenkopf«. Der junge Mann hinterm Tresen fragt ihn: »Was? Einen frittierten Maulwurf?« - »Nein, einen Mohrenkopf.« »Ach, einen Schokokuss meinst du!« Später bestellt eine Frau einen Kaffee. Der ist leider alle. »Dauert fünf Minuten. Wie wäre es mit einem Cappucino aufs Haus?« - »Ja, gern.« »Wir Kaffeetrinker müssen doch zusammenhalten!« - »Wie, du trinkst Kaffee?« »Sehe ich etwa nicht so aus?«

Ende April war im Prinzenbad offiziell »Anschwimmen« mit Sekt auf der Terrasse des Cafés. Früher sollen da Ton Steine Scherben gespielt haben, heißt es. Und dann seien die Leute angezogen reingesprungen.

Was nicht stimmt, ist das Gerücht, dass das Prinzenbad früher einen Sprungturm gehabt hätte. Was auf jeden Fall stimmt, ist die Information, dass das beheizte 50-Meter-Becken nun aus Metall besteht. Die körperliche Herausforderung lauert aber im unbeheizten Becken. Gerade beim »Abschwimmen«. Es ist arschkalt.

Manche glauben, die Freibadsaison sei mit der Grillsaison identisch. Falsch. »Angegrillt« wird im Januar und »Abgegrillt« wird im Dezember. Freibäder sind die letzten echten Saisonbetriebe, ohne das ganzjährliche Tische-nach-draußen-stellen-müssen in der Gastronomie.

Die anderen Berliner Bäder schließen eher als das Prinzenbad. Deprimierend früh macht das in Pankow dicht. Leider öffnet es auch sehr spät. Vor dem kalendarischen Beginn des Sommers läuft hier so gut wie gar nichts und vor dessen Ende (23. September) schon lange nichts mehr. Der letzte Freibadtag in Pankow war der 2. September. Es war alles so schön leer. Die Becken, der Sprungturm, die Rutsche. Die Erfindung der Einsamkeit - aber was für eine: Im Schwimmerbecken zogen vier Menschen ihre Bahnen. Weil ich als fünfter anschlug und etwas ausruhte, störte ich. »Du bist im Weg« rief mir eine Frau zu und tauchte sofort wieder ab wie ein schlecht gelaunter Schwertwal. Überhaupt wirken die meisten Leute, die in Pankower ins 50-Meter-Becken steigen, angespannt wie Kämpfer bei Tekken.

Im Prinzenbad dagegen tragen manche Schwimmer Neoprenanzüge, sogar im warmen Becken, das so gut beheizt ist wie ein Outdoor-Spaßbad im Winter. Draußen aber laufen die meisten Badegäste selbstbewusst herum, um das letzte Mal Bein und Bauch zu zeigen. Am coolsten ist ein U-50-Boy mit roter Sonnenbrille und doppelter Perlenkette. Und dann gibt es die Leute, die nur im Café sitzen. Sie studieren keine Smartphones, sondern die Printausgaben von Tageszeitungen. Das gibt’s in keiner U-Bahn mehr.

Was denn?! Sehe ich etwa so aus, als würde ich keine gedruckten Zeitungen mehr lesen?

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