Reanimation für die Pflege

Bündnis für mehr Krankenhauspersonal will Veränderung auf Landesebene

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales in der Oranienstraße liegt eine Reanimationspuppe auf dem Bürgersteig. Sie trägt OP-Kittel und Haarnetz, auf dem Namensschild steht »Schwester Sonnenschein«. Ein zotteliger Bär beugt sich schließlich über die vermeintlich tote Krankenschwester und beginnt mit einer Herz-Lungen-Wiederbelebung.

Was nach einer schrägen Theateraufführung klingt, ist in Wahrheit eine Kundgebung des Bündnisses für mehr Krankenhauspersonal. In dem Bärenkostüm steckt Kalle Kunkel, zuständiger Gewerkschaftssekretär bei ver.di und einer der Ansprechpartner*innen für den Volksentscheid Gesunde Krankenhäuser. »Der Berliner Bär soll die Pflege reanimieren«, erklärt er sein Kostüm. Die Hauptstadt müsse das Signal senden, das gute Pflege möglich sei.

Das Bündnis hatte erst im Juni mehr als 40 000 gültige Unterschriften von Unterstützer*innen des Volksentscheids an die Senatsinnenverwaltung überreicht. Das sind mehr als doppelt so viele Unterschriften als die für das Quorum notwendigen 20 000. Jetzt muss sich das Abgeordnetenhaus mit dem Gesetzesentwurf befassen. Noch warten die Initiator*innen aber auf das juristische Gutachten des Senats - wie lange dies noch auf sich warten lässt, ist laut Gewerkschafter Kunkel jedoch unklar. »Wir wollen natürlich so schnell wie möglich ins Gespräch kommen«, so Kunkel.

Während Rot-Rot-Grün auf sich warten lässt, gibt es auf Bundesebene inzwischen Bewegung beim Thema Pflege. Bundsgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plant eine Reform gegen den Pflegenotstand, die zum einen die Finanzierung von zusätzlichen Pflegestellen und zum anderen die Einführung von Personaluntergrenzen beinhaltet. Das sogenannte Pflegepersonalstärkungsgesetz soll bereits 2019 in Kraft treten.

Trotzdem demonstrieren am Dienstagvormittag Unterstützer*innen des Volksentscheids, zu denen viele Pflegekräfte, aber auch Patient*innen gehören, vor der Senatsverwaltung. »Wir wollen heute deutlich machen, dass das, was auf Bundesebene passiert, nicht zu einer Verbesserung der Situation führt«, sagt Steffen Hagemann vom Bündnis für mehr Krankenhauspersonal. »Unser Gesetzesentwurf kann sofort auf Landesebene übernommen werden. So wie er ist. Man muss nicht auf die Bundesebene warten.«

Hauptkritikpunkt an der Pflegereform von Gesundheitsminister Spahn sind die geplanten Personaluntergrenzen. Diese beruhen laut ver.di jedoch nicht auf einer individuellen Personalbemessung, sondern auf einer statistischen Auswertung des - schlechten - Status quo. Laut Gewerkschaft würden diese Untergrenzen dazu führen, dass nur die 25 Prozent der Krankenhäuser mit der schlechtesten personellen Besetzung Personal aufbauen müssten. Die anderen 75 Prozent der Kliniken müssten danach gar kein Personal aufstocken.

Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Sozial- und Pflegeverbänden sowie Patient*innenorganisationen lehnt die Regelung ab und fordert in einem gemeinsamen Papier, dass »ein am individuellen Pflegebedarf ausgerichtetes und pflegewissenschaftlich fundiertes Personalbemessungstool entwickelt wird«. Die Befürchtung ist, dass die im Gesetz vorgesehenen Untergrenzen eine unzureichende Personalausstattung zum Normalzustand werden lässt - und manche Kliniken dadurch sogar noch Pflegestellen abbauen könnten.

»Das Gesetz greift nur in den prekärsten Krankenhäusern«, kritisiert auch Anja Voigt, die als Pflegekraft im Neuköllner Vivantes-Klinikum arbeitet. Für die Bemessung der Personaluntergrenze fehle jede Grundlage. »Da werden Daten erhoben, die mit meiner Arbeitsrealität nichts zu tun haben«, sagt Voigt. Statt einer pauschalen Festlegung für starre Untergrenzen fordert sie deshalb eine Bedarfsbemessung des Personals aufgeteilt nach Bereichen und für jede Schicht.

Vor der Senatsverwaltung für Gesundheit erwacht »Schwester Sonnenschein« schließlich wieder zum Leben. »Der Berliner Bär hat der Pflege neuen Atem eingehaucht«, heißt es. Sollte das Abgeordnetenhaus den Gesetzesentwurf annehmen und wird der Volksentscheid durchgesetzt, könnte Berlin mit einer eigenen Pflegereform tatsächlich bundesweiter Vorreiter für gute Pflege im Krankenhaus werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.