Putin sieht die Schuld allein bei Israels Armee
Beziehungen werden frostiger / Nach Flugzeugabschuss will Russland die syrische Luftabwehr verstärken
Stundenlang tagte am Dienstag das israelische Sicherheitskabinett, länger als üblich. Die Chefs der Geheimdienste und des Militärs kamen und gingen, am Ende vertagte man sich, denn die Situation ist komplizierter, als die Themen, mit denen sich das Gremium aus meist aus politischen Gründen ausgewählten Ministern rund um Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Avigdor Lieberman normalerweise befasst: Gaza, das Westjordanland, selbst das Atomabkommen mit Iran sind Themen, bei denen die Meinungsbilder und Strategien der Koalitionspartner recht klar sind: Die einen sind für einen harten Kurs, die anderen mahnen zur Vorsicht.
Doch Syrien ist eine andere Sache. Was bisher geschah, kurz zusammen gefasst: Israel wirft den iranischen Revolutionsgarden vor, Basen in Syrien, also in unmittelbarer Nähe Israels aufzubauen, die in Libanon beheimatete, aber in Syrien an der Seite der Regierung kämpfende Hisbollah mit Waffen und Geld zu unterstützen; 2006 führten Israel und die Organisation einen 34-tägigen Krieg gegeneinander. Israels Luftwaffe greift deshalb immer wieder Ziele auf syrischem Gebiet an, zerstört Einrichtungen, die man den Revolutionsgarden oder der Hisbollah zurechnet. Mehr als 240 solcher Angriffe haben israelische Medien allein im vergangenen Jahr gezählt.
Am Montag vergangener Woche kam es dabei nun zu einem Zwischenfall: Nach einem Luftangriff schoss die syrische Luftabwehr eine russische Militärmaschine ab; 15 Menschen seien dabei ums Leben gekommen, sagt ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums. Die Umstände sind umstritten: Nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin zunächst von einem »tragischen Zwischenfall« gesprochen hatte, gab das russische Verteidigungsministerium Anfang dieser Woche dann Israels Luftwaffe die Schuld. Ein Kampfjet habe sich hinter der Maschine versteckt, damit das Flugzeug samt Insassen in tödliche Gefahr gebracht. Israels Militär indes erklärt, die Jets seien bereits wieder im israelischen Luftraum gewesen, als die syrische Abwehr auf die russische Maschine feuerte.
Unumstritten sind allerdings die Folgen: Die russische Regierung will nun »innerhalb von zwei Wochen« moderne Abwehrtechnologie und Raketen vom Typ S-300 an Syrien liefern; zudem sind die beiderseitigen Beziehungen nun stark angespannt. »Es ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar, dass unsere Soldaten in Gefahr gebracht werden,« sagt ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums: »Wir stimmen uns eng mit Israel ab, um genau so etwas zu verhindern.«
Schon vor gut drei Jahren hatten Netanjahu und Putin Mechanismen vereinbart, die verhindern sollen, dass sich das israelische und das russische Militär in und über Syrien zu nahe kommen. Gleichzeitig wurde das israelische Verhältnis zu Russland umso wichtiger, je mehr sich Moskau im Nahen Osten und in Iran engagierte: Die Beziehungen Netanjahus zu Putin, der wiederum auch mit der iranischen Führung auf gutem Fuß steht, eröffnen Möglichkeiten der Kommunikation, die keine andere Regierung derzeit bieten kann.
So vermittelte der Kreml im Sommer den Abzug von Iran nahestehenden Milizen und iranischen Militärberatern aus der Region Syriens in der Nähe der israelischen Grenze. Vor einigen Wochen erklärte Israels Verteidigungsminister Lieberman, dies habe tatsächlich zu einer »erheblichen Reduzierung der Aktivitäten des iranischen Militärs« geführt. Die Regierungen Irans und Syriens bestreiten allerdings, dass iranische Streitkräfte auf syrischem Boden aktiv sind.
Doch nun droht Moskau, nicht nur diplomatisch auf Distanz zu gehen; die Lieferung moderner Waffensysteme an Syrien würde auch den Handlungsspielraum des israelischen Militärs zumindest erheblich erschweren. »Es ist eine Situation, mit der wir schon seit 20 Jahren gerechnet und auf die wir hintrainiert haben,« sagt Amos Jadlin, ein ehemaliger israelischer Generalstabschef: »Aber natürlich würde eine Modernisierung der syrischen Luftabwehr unsere Einsätze zumindest erheblich erschweren.«
Lieberman warnt indes, dass die Lieferungen für alle Militäreinsätze, nicht nur die israelischen, zusätzliche Gefahren mit sich bringen könnten: Die Syrer seien unerfahren; »es besteht die Gefahr, dass die damit auf alles schießen, was fliegt.« Einem Bericht der Tel Aviver Zeitung »Jedioth Ahronoth« zufolge erörterte das Sicherheitskabinett, die syrischen Raketen einfach zu zerstören - was allerdings wahrscheinlich die Beziehungen zu Russland weiter belasten würde.
Jadlin geht davon aus, dass die Systeme wohl ohnehin von russischem Personal bedient werden würden, so sie tatsächlich in Syrien stationiert werden; eine Zerstörung der Systeme wäre damit vom Tisch. Und: Israels Luftwaffe müsste Einsätze künftig sehr viel enger mit Russland koordinieren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.